Mehr als 5000 Menschen haben sich schon als Körperspender für das Plastinarium zur Verfügung gestellt. Besucher können die Plastination in Guben "live" verfolgen

Fotos: Baumann

Die Präparationsassistentinnen Laura Bude (li.) und Brunhilde Melchert wollen nach ihrem Tod auch im Plastinarium von Guben be- und verarbeitet werden

Konzentriert schabt Brunhilde Melchert mit einem kleinen Messer über den Fersenknochen von "Kurt". Vorsichtig räumt sie Fett und Bindegewebe zur Seite und kippt es in eine Schale, wo schon ganz viele gelbe Fettbrösel liegen. Es schaut ein wenig aus wie geriebener Emmentaler.

"Ich nenne ihn Kurt"

"Kurt", ein etwa 70-jähriger Mann durchschnittlicher Größe, lässt das Freilegen seiner Achillesferse durch Präparationsassistentin Melchert klaglos über sich ergehen, er ist ohnehin tot. "Ich weiß nicht, wer das ist und wie er gelebt hat. Ich nenne ihn auf jeden Fall Kurt", erklärt die 53-Jährige und balanciert wieder einen gelben Brösel in ihr Schüsselchen. In sicherer Entfernung stehen ein paar Besucher und schauen zu. Man ist sich schweigend einig: An Melcherts Tisch ist es doch erträglicher als am Tisch nebenan. Dort legt ein Kollege gerade das Gesicht eines Toten frei.

"Plastinarium" nennt sich jene Einrichtung im brandenburgischen Guben schlicht, die seit einem Jahr in der deutsch-polnischen Grenzregion für Aufregung sorgt. Geschaffen hat sie Deutschlands umstrittenster Anatom, Gunther von Hagens, der als Erfinder der "Plastination" gilt. Plastination, das bedeutet vereinfacht: das in den Zellen vorhandene Wasser durch Kunststoff auszutauschen, sodass die Leichen als Untote weiterleben und dabei Einblicke in das Innere des Körpers geben, wie man sie sonst nicht zu sehen bekommt.

Bedenken im Ort

Bis es soweit ist, sind jedoch erst einmal 3500 Arbeitsstunden nötig, und dank "Dr. Tod", wie von Hagens genannt wird, werden diese nun für jeden Besucher sichtbar in der gläsernen Gubener Leichenfabrik absolviert – sehr zur Freude des Bürgermeisters Klaus-Dieter Hübner (FDP): "Sie glauben gar nicht, wie viele Bürgermeister anderer Städte mir inzwischen im Vertrauen gesagt haben: Diesen Investor hätten wir auch gern gehabt." Ein paar Kilometer weiter östlich, in Polen, da wollten sie von Hagens und seine "Körperwelten" nicht. Auch der Gubener Stadtrat votierte nur knapp für das Plastinarium. Es gab große Bedenken, sich den "Leichenfledderer" in den Ort zu holen – musste sich von Hagens doch vor Jahren vom Magazin Spiegel vorwerfen lassen, in seinem chinesischen Werk auch Opfer der Todesstrafe verarbeitet zu haben.

Hohe Arbeitslosigkeit

Doch schließlich obsiegte ein Blick in die Arbeitslosenstatistik. Seit die Textilfabrik "Gubener Wolle" nach der Wende schloss und Guben nicht mehr "Hut-Hauptstadt" Europas ist, haben 20 Prozent der Menschen keinen Job mehr, und immer mehr ziehen weg. Auch Laura Bude, 28 Jahre alt und Mutter zweier Kinder, hat in Guben "schon dies und das gemacht" – bis von Hagens kam. Jetzt ist auch sie Präparationsassistentin und froh, einen Job zu haben.

Kein Begräbnis

Wie ihre Kollegin Melchert hat sie ebenfalls bereits einen Körperspender-Ausweis. Der Hausarzt ist informiert, und wenn die beiden Damen sterben, dann ist die Verwandtschaft zumindest eine Sorge los: Es gibt kein Begräbnis, stattdessen geht es ab ins Plastinarium. "Ich finde es gut, dass ich der Forschung diene und dass Menschen von mir lernen können. Sonst würden mich ja nur die Würmer fressen, was auch nicht so angenehm ist", erklärt Bude. Präferenzen, was mit ihrem Leichnam dann passiert, hat sie nicht. Vielleicht wird sie in Scheiben geschnitten, vielleicht als Übungsobjekt verwendet – es ist ihr egal. Frau Melchert hingegen hätte schon einen Wunsch: "Ich würde gerne beim Skatspielen gezeigt werden. Das wäre schon toll." Abwegig ist diese Phantasie nicht, schließlich gibt es in Guben auch eine "Pokerrunde", in der drei plastinierte Spieler mit Pokerkarten in der Hand sitzen. Nicht weit daneben hat sich ein Gitarrist in Pose geworfen, vermutlich spielt er das "Lied vom Tod". Überhaupt geht es im Plastinarium ganz und gar nicht totenstill zu. Da rittern zwei plastinierte Fußballspieler um den Ball, eine Schwimmerin krault durch den Raum und ein Schachspieler brütet über einer Partie.

Diese Positionen sind es, die die Gegner auf den Plan rufen. "Die Schaustellerei von Toten in aufregenden Posen und diese Sensationshascherei widerspricht der Würde des Menschen. Es ist eine Missachtung, die mich an das KZ erinnert, wo aus menschlicher Haut Lampenschirme gemacht wurden", sagt der Gubener Pfarrer Michael Domke, der ein Aktionsbündnis gegen das Plastinarium gegründet hat. Er ist überzeugt: "Die Würde des Menschen endet nicht mit dem Tod, wir brauchen daher einen liebevollen Umgang mit den Verstorbenen." Der Kreiskirchenrat hat die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, aber diese beschied: Die Plastinate verstoßen nicht gegen geltendes Recht. Dennoch: Das Bildungsministerium Brandenburg hat Schulklassen den Besuch im Plastinarium untersagt.

Anatomisch korrekt

Gespalten ist Hartmut Dunkel. Der Gubener hat Bekannte aus Berlin zu Besuch und zeigt ihnen gerade die neue Sehenswürdigkeit seiner Heimatstadt. "Es ist schon faszinierend, was man da über den menschlichen Körper erfährt", meint er. Andererseits widerstreben auch ihm die "reißerischen und auf Kommerz bedachten Posen". Aber, sagt Dunkel, "wir leben hier halt nicht schlecht von Dr. Tod". Hundert Menschen haben Arbeit gefunden, 200 weitere sollen eingestellt werden, auch die Handwerksbetriebe der Region profitieren. Die Präparationsassistentinnen Melchert und Bude verstehen die Aufregung daher überhaupt nicht: "Es ist ja alles anatomisch korrekt dargestellt und in Wirklichkeit ist es doch alles nur totes Material." (Birgit Baumann, DER STANDARD Printausgabe, 31.10./1.11.2007)