Bangor/Bremerhaven - Ein Forscherteam der britischen Bangor University hat vor der Küste Islands ein Exemplar der Island Muschel Arctica islandica gefunden, die zwischen 405 und 410 Jahre alt war. Damit ist die nun gefundene Muschel nicht nur deutlich älter als jenes Exemplar, das von US-Forschern 1982 vor der amerikanischen Küste geborgen wurde, sondern möglicherweise das älteste lebenede Tier überhaupt. Unter Wissenschaftlern ist bekannt, dass diese Spezies zu den langlebigsten Tierarten der Welt gehört. Der US-Fund von 1982 war mit einem Alter von 220 Jahren als langlebigstes Tier im Guinness-Buch-der-Rekorde eingetragen.

Zu Zeiten Shakespeares geboren

Die Forscher um Paul Butler und James Scourse hatten die alte Muschel im Zuge der Datensammlung des EU-Millennium-Projekts, das die Klimabedingungen der vergangenen 1.000 Jahre untersucht, 2006 gefunden. Die Forscher haben der Muschel den Spitznamen "Ming" - nach der chinesischen Ming-Dynastie - gegeben. "Es ist beinahe unvorstellbar, dass zur Zeit, als dieses Tier geboren wurde, Königin Elisabeth die Erste auf dem Thron saß und Shakespeare Othello und König Lear schrieb", so BBC-Online. Was die Wissenschaftler an der Muschel interessiert, sind vor allem die Fragen nach dem Geheimnis des langen Lebens.

"Dass Arctica-Exemplare sehr alt werden können, wissen wir seit längerem", so Thomas Brey vom Institut für Marine Ökologie am Alfred Wegener Institut AWI. "Dabei ist das Alter der Tiere im Vergleich zu anderen Wirbellosen auch ziemlich auffällig. Muscheln, die zwischen 20 und 25 Jahre alt werden, sind hingegen keine Seltenheit", erklärt Brey.

Geheimnis des hohen Alters

Für die Wissenschaft ist die Muschel aus zwei Gründen sehr interessant: "Einerseits sind es die Geheimnisse des Altwerdens, die die Forscher lüften wollen, andererseits spiegeln die Muscheln in ihren Schalen klimatische Veränderungen wider", so der Wissenschaftler. Wir wissen, dass es bei Arctica etwas Außergewöhnliches im Metabolismus gibt. "Die Tiere scheinen einen Schutzmechanismus zu haben und können sich selbst abschalten", erklärt der Experte. Dieses Geheimnis sei auch für die Humanmedizin von Interesse. "Arctica-Exemplare werden offensichtlich in den kälteren Gewässern um Island besonders alt. Jene Tiere, die in südlicheren Gewässern lebten, erreichen kein so hohes Alter."

"Jeder biogen erzeugte Kalk erzählt außerdem eine sehr interessante Geschichte", erklärt Brey. Das jährliche Wachstum, also der Teil des Tieres, der in einem Jahr dazuwächst, gibt Aufschluss darüber, wie das Jahr im Meer war. "Wenn man in das Karbonat hineinschaut, zeigen sich über stabile Sauerstoff-Isotope auch biochemische Spuren. Das bedeutet, dass eine Muschelschale wie ein aufgezeichnetes Thermometer wirkt", so der Wissenschaftler.

Spuren des industriellen Zeitalters

In den Muschelschalen könne man aber auch noch andere chemische Elemente entdecken. "Da finden sich zum Beispiel Spuren über menschliche Aktivitäten wie etwa dem Beginn des industriellen Zeitalters und damit einhergehend der Umweltverschmutzung", erklärt der Wissenschaftler. "Die Muschelschale wird so zu einem Klimaarchiv, der wie ein Bio-Rekorder alle Veränderungen aufzeichnet."

Die Arctica-Muscheln leiden offensichtlich in der Nordsee unter großem Stress, denn jüngere Tiere wurden in den vergangenen Jahren kaum mehr gefunden, wie Brey berichtet. Daran könnte neben der Erwärmung des Meeres auch die Schleppnetzfischerei schuld sein, die mit schweren Metallrechen den Meeresboden durchpflügt und dabei große Schäden anrichten. (pte/red)