Schrodt:: Mit der Zweidrittelmehrheit – das wissen alle, die jahrelang schulreformerisch und innovativ unterwegs waren – ist das Scheitern jeder Schulreform voraussehbar. Fragen wie die Fünftagewoche oder der Schulversuch Französisch statt Latein mussten Jahr für Jahr neu abgestimmt werden – und zwar mit zwei Dritteln von allen am Schulversuch Betroffenen._
Standard:: Bei Ihnen im Gymnasium in der Rahlgasse ist soeben als dritter AHS in Wien ein Versuch mit der modularen Oberstufe für die sechste bis achte Klasse gekippt worden – und zwar durch die Lehrerinnen und Lehrer, und obwohl dort bereits zwei Jahrgänge laufen.
Schrodt:: Es ist nicht gekippt worden. Das kann man nicht sagen. Wir haben auch jetzt eine einfache Mehrheit der Lehrerstimmen, dass die modulare Oberstufe fortgesetzt wird. Wir haben fast vor sechs Jahren mit einigen anderen Schulen beschlossen, die Oberstufe komplett neu zu gestalten mit einem Kurssystem. Wir waren voller Idealismus und haben das Modell professionell entwickelt, wenn auch ohne Ressourcen. Vor zwei Jahren ist an unserer Schule der erste dreijährige Durchgang gestartet. Wir haben erst kurz vor Ende des Schulschlusses davon erfahren, dass wir darüber jedes Jahr neu abstimmen müssen. Dabei sind wir davon ausgegangen, dass wir einen dreijährigen Durchgang machen mit allen nachfolgenden Klassen, mit Evaluierung, und dann fällt die Entscheidung, ob wir das im System verankern oder ob wir aussteigen. Und wenn wir aussteigen, gibt es ein Ausstiegszenario. Voriges Jahr haben ganz wenige Stimmen zur Zweidrittelmehrheit gefehlt, die Abstimmung musste wegen eines formalen Fehlers wiederholt werden. Dann haben wir das System gründlich überarbeitet, und 80 Prozent der Lehrer waren dafür. Jetzt ist das neue Modell angelaufen, und sechs Wochen nach Schulanfang müssen alle, auch die 15 Prozent neuen Lehrerinnen und Lehrer, darüber abstimmen.
Standard:: Warum deren Nein? Bestätigt das das Klischee der reformfeindlichen Lehrer?
Schrodt:: Nein. Absolut nicht. Wir haben vielleicht von 90 stimmberechtigten Lehrerinnen und Lehrern eine Handvoll, die das Modell als solches nicht wollen, und die sagen das auch laut. Aber es gibt keine Lobby dagegen. Ein Grund kann sein, dass die Neuen mit so einem komplexen Modell überfordert sind. Nicht unterschätzen darf man: Es gibt keine Ressourcen für eine so große Schulentwicklung, über die die Schule verfügen kann.
Standard:: Das ist genau ein Vorwurf, den die Kritiker der Neuen Mittelschule äußern, dass nämlich im Gesetzesentwurf steht, das Ganze soll „kostenneutral“ sein.
Schrodt:: Das darf nicht sein, das kritisiere ich auch. Diese Ressourcenfreiheit ist ein großes Problem. Denn ein Projektleiter, der so ein Megaprojekt managt und daneben voll weiterunterrichtet, kann entweder eines davon schlecht machen, oder er macht beides gut weiter und geht drauf._Und das zweite Problem ist das Korsett der Schulbürokratie.
Standard:: Womit müssen Eltern rechnen, die ihr Kind in die Neue Mittelschule geben? Ein Einwand dagegen ist ja, dass es noch immer kein konkretes Modell dafür gäbe.
Schrodt:: In der Expertenkommission wurden Vorschläge entwickelt, wie das konkret ausschauen sollte. Nicht nur Team-Teaching, sondern nach Möglichkeit auch jahrgangsübergreifende Lerngruppen. Ohne Entwicklungsressourcen, vor allem Zeitressourcen, kann das nicht funktionieren. Das ist ein großer Kritikpunkt am Gesetzesentwurf, den ich habe. Schulentwicklung, die zumindest teilweise ins Regelsystem übernommen werden soll, kann ja nicht kostenneutral sein. Standard:: In welcher Form würden Sie Eltern und Lehrer mitbestimmen lassen bei den Modellregionen – oder ist diese schulische Zweidrittelmehrheit mehr Hemmschuh für eine Schulreform als er einer demokratischen Schule nützt?