Foto: Filmmuseum/Wasner
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Das Gesamtwerk von James Benning als Bestandsaufnahme eines Kontinents: Kader (v.o.) aus "Sogobi" (2001), "Chicago Loop" (1976) und "Los" (2001).

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Konsequent: Filmemacher James Benning als Landschaftshistoriker.

Foto: STANDARD /Newald
Benning ist eine der faszinierendsten Figuren des unabhängigen US-Kinos seit 1970. Eine vollständige Durchquerung der "United States of Benning" bringt eine radikal persönliche Version und Vision von Amerika.


Wien – Wie ein Bischofsstab aus Stein ragt Robert Smithsons Landkunstwerk "Spiral Jetty" in den großen Salzsee in Utah. 1970 wurde die Arbeit gestaltet, seither war sie Wind und Wetter ausgesetzt und sehr häufig schien sie endgültig im Wasser zu versinken. Der Filmemacher James Benning hat seit 1970 immer wieder vor Ort gefilmt und hat nun aus seinen Aufnahmen ein einzigartiges Dokument montiert: "casting a glance" ist im Grunde die Übersetzung eines Kunstwerks in ein anderes Medium.

Spiral Jetty spielt mit den "übermenschlichen" Formaten der Natur, während Benning mittels des Kinos daraus ein menschliches Maß der Betrachtung gewinnt. Das Kunstwerk im Original und seine Repräsentation im Film bilden nun eine Konstellation, die sehr viel über konzeptuelle Prozesse in beiden Feldern verrät.

Das Österreichische Filmmuseum widmet James Benning im November unter dem Titel "American Filmmaker" eine Schau, deren Titel nur auf den ersten Blick sehr allgemein gehalten ist. Denn Benning ist tatsächlich so etwas wie ein Landschaftshistoriker des nordamerikanischen Kontinents und findet in seinen stark formalisierten Filmen dabei auch jede Menge Geschichte. So erforscht "RR", den das Filmmuseum am 2.11. um 20.30 Uhr als Premiere zeigt, die Erschließung des Landes durch die Eisenbahn, wobei das für Benning so typische Konstruktionsprinzip der vorher festgelegten Einstellungsdauer in diesem Fall durch die Züge bestimmt wird – die Einstellungen dauern so lange, wie die Züge brauchen, um durch das Bild zu fahren.

Im Kino vergeht die Zeit ja sonst gewöhnlich wie im Flug. Die Dauer einzelner Einstellungen wird nur ein Thema, wenn ein Film sich zieht, wenn Langeweile aufkommt, wenn der Bauplan sichtbar wird und die Methode selbst Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dann handelt es sich entweder um ein missratenes Werk – oder aber um einen experimentellen oder avantgardistischen Film.

James Benning hat 1977 seinen damals einstündigen "One Way Boogie Woogie" mit einer einminütigen Einstellung beendet, in der ein Auto abrupt zum Stehen kommt, der Fahrer vornüber auf das Lenkrad kippt und dabei die Hupe auslöst. Mit diesem Bild, dessen nähere Umstände nicht aufgeklärt wurden, endete eine präzise strukturierte Bestandaufnahme der Lage in einem Industrierevier der Stadt Milwaukee. Die Fabriken und Lagerhallen verloren damals gerade ihre ursprüngliche Funktion. Die Arbeit verschwand aus der Gegend, die Gebäude blieben stehen, dazwischen waren nun nicht mehr die Werktätigen in Massen zu sehen, sondern vereinzelte Menschen mit zufälligen Verrichtungen.

Die Zeit dazwischen

27 Jahre später hat Benning ein Remake von "One Way Boogie Woogie" gedreht – auch dieser zweite Film besteht aus sechzig Einstellungen von jeweils einer Minute, in denen dieselben Orte und zum Teil dieselben Menschen zu sehen sind, die schon damals im Bild waren. Die erzählte Zeit in jeder Szene ist identisch mit der vor 27 Jahren, aber natürlich ist die eigentliche erzählte Zeit in "One Way Boogie Woogie 27 Years Later" das, was zwischen den beiden Filmen liegt und nur indirekt zu sehen ist.

Geschichte ist bei Benning die Differenz zwischen zwei Bildern. Seine Filme funktionieren in der Regel nach einem Schema. Er legt die Parameter vorher fest – in "13 Lakes" oder "Ten Skies" filmte er jeweils zehn Minuten lang einen See oder einen Himmel. Die scheinbare Ereignislosigkeit schlägt schnell in eine Dramatik minimaler Intensität um.

Benning schärft die Aufmerksamkeit. Er nimmt die filmische Aktivität so weit zurück, dass die Betrachter mit dem Aufzeichnungsapparat "identisch" werden können. Sie können ganz in dessen Registraturfunktion aufgehen, wenn sie denn die Konzentration aufbringen. Wenn er seine Kamera an einem einsamen See in der nordamerikanischen Wildnis aufstellt, stellt Benning sich in die Tradition des Protokinopioniers Eadweard Muybridge, der im 19. Jahrhundert zuerst mit den damals üblichen langen Belichtungszeiten im Yosemite Valley fotografierte, bevor er mit schnell aufeinanderfolgenden Einzelbildern das Prinzip der Kinematografie entdeckte.

Verschlissene Flagge

Benning kann die vielen technischen Errungenschaften schon voraussetzen, er kann sogar auf diskrete Weise mit ihnen spielen. Denn in "One Way Boogie Woogie" ist die Sommerstimmung der ersten Hälfte technisch bedingt – das damals verwendete Farbmaterial ergab sattere Farben, intensivere Kontraste. Tatsächlich drehte Benning den ersten Teil im Frühling und den zweiten Teil, der eher herbstlich wirkt, im Juni.

Dass die amerikanische Flagge, die einst noch in stolzer Unversehrtheit geweht hatte, heute verschlissen aussieht, hat mit diesen Umständen jedoch nichts zu tun, sondern zeigt nun tatsächlich und ganz unmetaphorisch, was in 27 Jahren geschieht, wenn nichts geschieht. So wie "casting a glance" am Beispiel von Spiral Jetty zeigt, was in 37 Jahren in der Natur geschieht, wenn nichts geschieht. (Bert Rebhandl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.11.2007)