Es gehört zum Wesen jeder Demokratie, dass kleine, straff organisierte Interessensgruppen in einer Demokratie viel mehr Einfluss auf politische Entscheidungen haben als große, aber passive Mehrheiten. Das gilt für AHS-Lehrer im Kampf gegen die Neue Mittelschule genauso wie für Wirte, die alle ernsthaften Rauchverbote verhindern wollen. Denn für diese kleinen Gruppen zahlt es sich aus, viel Geld und Zeit in das politische Lobbying zu stecken, um ihre Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. Millionen Bürger mögen zwar anderer Meinung sein, aber sie werden weder für die Gesamtschule noch für rauchfreie Lokale auf die Straße gehen oder lästige E-Mails an die Parteizentralen schicken.

In der ÖVP fällt solche Lobbytätigkeit auf besonders fruchtbaren Boden. So lässt es sich erklären, dass eine Gesundheitsministerin zuerst einen Entwurf für ein Antirauchergesetz vorlegt, der das Rauchen in der Gastronomie gespalten einschränken würde, und diesen sofort zurückzieht, sobald der Koalitionspartner auf eine moderate Verschärfung pocht. Aus gesundheitspolitischer Sicht gibt es für diese Haltung keine vernünftigen Argumente. Die Schädlichkeit des Passivrauchens ist wissenschaftlich unbestritten – die Skeptiker gehören in die gleiche Kategorie wie etwa die Leute, die den Klimawandel bestreiten oder die Erde für eine Scheibe halten. Der Arbeitnehmerschutz ist als politisches und gesetzliches Ziel in Österreich eindeutig verankert. Angesichts der erschreckend hohen Zahl von Kindern und Jugendlichen, die zur Zigarette greifen und damit die Gesundheit ihres ganzen Lebens aufs Spiel setzen, müsste eine "Entnormalisierung" des Rauchens in unserer Gesellschaft klare Priorität haben. Und von Wahlfreiheit zu sprechen, ist bei einer Tätigkeit, die anderen so schadet wie das Rauchen, eine zynische Übung.

Nun ist die öffentliche Meinung in dieser Frage gespalten. Aber selbst unter Rauchern ist die Bereitschaft, für das Glimmstängel-im-Café-Recht zu kämpfen, nicht sehr stark. Dies hat sich zumindest in den vielen anderen Ländern gezeigt, die ohne größere Proteste totale Rauchverbote eingeführt haben. Nicht alle Raucher kehren am Abend gerne mit stinkender Kleidung heim. Aber gegen all das steht die dringende Warnung der Wirte, Rauchverbote würden sie wirtschaftlich ruinieren und – das ewige politische Totschlagargument – tausende Jobs kosten. Sie haben die Wirtschaftskammer hinter sich, die hier keinen Spaß kennt. Schließlich sind Wirte – anders als etwa Webdesigner – begeisterte Kämmerer.

Nun muss man nur ein wenig über die Grenzen schauen um zu erkennen, dass auch in Österreich früher oder später der Tabak aus allen öffentlichen Lokalen verbannt werden wird. In einer EU, wo solche Gesetze zunehmend zur Norm werden, wird sich Österreich kaum als Insel der verrauchten Geselligkeit halten können oder wollen. So gesehen ist der Aufschub von sechs Monaten, den die Koalition jetzt vereinbart hat, ein Glück: Nicht weil sich bis dahin ein Wunder ereignen wird, wie es Andrea Kdolsky offenbar vorschwebt, und die Gastronomie freiwillige Rauchverbote einführt, sondern weil der Druck in Richtung eines echten Rauchverbots ohne Ausnahmen bis dahin weiter wachsen und Österreich am Ende vielleicht doch noch eine international herzeigbare – und auch aus Sicht der Wirte – viel sinnvollere Lösung als der Kdolsky-Entwurf bescheren wird.

Diese Zeit kann vor allem dazu genutzt werden, den Widerstand der Gastro-Lobby zu überwinden. Das erfordert viel Geld, denn der Staat müsste den Wirten ihre tatsächlichen oder befürchteten Verluste, die ein Rauchverbot bringen wird, ersetzen – etwa durch Steuerbegünstigungen für eine Übergangszeit von mehreren Jahren. Eine politische Lösegeldzahlung dieser Art könnte sich durch niedrigere Gesundheitskosten bald rentieren und wäre eine gute Investition ins Gemeinwohl. So mächtig Lobbys auch sein mögen – sie haben fast immer einen Preis. (Eric Frey, DER STANDARD – Printausgabe, 2.11.2007)