Veit Sorger, Präsident der Industriellenvereinigung: "Es muss sich bei den sachlichen Themen etwas ändern, wenn diese Koalition Bestand haben soll. Die Wirtschaftskammer will er nicht in Verfassungsrang heben: "Für uns nicht akzeptabel."

Foto: STANDARD/Urban
STANDARD: Herr Präsident, die Regierung bringt nichts weiter. Ist das für die Industrie nicht unglaublich frustrierend?

Veit Sorger: Alles wird momentan überdeckt durch diese unglaublich gute Konjunktur. Wir haben erstklassiges Wachstum, zunehmende Beschäftigung, sprudelnde Steuereinnahmen. Ein unglaubliches Wohlbefinden für alle. Aber der Tag wird kommen, wo es nicht so weitergeht. Auch die Regierung hat das Glück dieses hohen Beschäftigungsniveaus. Aber wir sehen bereits, dass sich die Auftragseingänge verflachen, der hohe Dollar mit 1,44 macht uns eines Tages mehr zu schaffen, der Ölpreis kratzt an der 100-Dollar-Marke und könnte angeblich im Dezember auf 125 stehen.

STANDARD: Aber nächstes Jahr werden wir immer noch ein gutes Wachstum haben von wahrscheinlich 2,5 Prozent.

Sorger: Von einer Krise ist überhaupt nicht die Rede, aber wir müssen uns vorbereiten. Wir waren auch die einzigen, die darauf hingewiesen haben, dass die hohen Lohnabschlüsse die Arbeitslosen von morgen sind. Wir können jetzt alles verdrängen und sagen, es geht so weiter, aber das stimmt nicht. Die 3,5 Prozent für die Metaller fallen uns eines Tages auf den Kopf. Dann kommen die Beamten ...

STANDARD: Die Regierung lebt also nur von der guten Konjunktur?

Sorger: Nein, das Glück der Koalition ist, dass das wirtschaftliche Umfeld ausgezeichnet ist. Ändert sich dieses, muss sich auch bei den sachlichen Themen etwas ändern, wenn eine Koalition wie diese Bestand haben will.

STANDARD: Ist die große Koalition nur dazu da, um Interessenverbände abzusichern? Christoph Leitl, der Präsident der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), fordert die Aufnahme der Kammern (WKÖ, Bauern-, Arbeiterkammern) in die Verfassung. Eine rot-schwarze Expertengruppe hat schon einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet.

Sorger: Das hat für uns als Nicht-Kammer schon eine große Symbolwirkung. Wollen wir Freiheit oder wollen wir verkrustet sein, wollen wir international sein oder Schrebergärtner, wollen wir Wettbewerb oder eine Art Kammerbürokratie haben? Dieses Vorhaben ist uns nicht verständlich und von uns nicht zu akzeptieren.

STANDARD: Der Hintergrund ist natürlich, die Pflichtmitgliedschaft in der Verfassung einzubetonieren.

Sorger: Das ist einer der Gründe. Wir finden aber, wenn man als Kammer seine Strukturen ständig anpasst, wenn man serviceorientiert ist, leistungsorientiert, dann braucht man keine Verfassung, um seinen Status zu stützen, sondern dann funktioniert das per se.

STANDARD: Die Kammern sind Teil der Sozialpartnerschaft, die ist eine Art Nebenregierung, also warum nicht gleich in die geschriebene Verfassung damit?

Sorger: Erstens ist der ÖGB, der einer der wesentlichsten Sozialpartner ist, nicht in der Verfassung, und zweitens kann man dann fragen, warum die Rechtsanwaltskammer und die Sozialversicherung nicht auch drinnen sind. Wir treten eben mehr für Freiwilligkeit ein. Bei uns kann jeder austreten.

STANDARD: WKÖ-Präsident Christoph Leitl hat als Begründung genannt, es könne dann irgendeine feindselige Regierung die Kammermitgliedsbeiträge einfachgesetzlich halbieren.

Sorger: Ich schätze den Präsidenten sehr. Er hat gesagt, er möchte in politisch instabilen Zeiten die Sicherheit haben, dass die Sozialpartnerschaft verfassungsrechtlich festgeschrieben wird. Er bezieht sich dabei auch auf europäische Positionen. Da musste ich ihn darüber aufklären, dass dem so nicht ist, sondern dass Brüssel Pflichtmitgliedschaften nicht will.

STANDARD: Als Industrie sind Sie aber auch Pflicht-Kammermitglied.

Sorger: Solange die Kammer sich anpasst, wettbewerbsfreundlich bleibt und Leistungen bietet, gehen wir ja nicht gegen die Pflichtmitgliedschaft vor. Wir hätten nur nicht gern, dass man sich darauf zurückzieht, wir sind in der Verfassung und alle weiteren Kraftanstrengungen sind nicht mehr notwendig. Die Mitglieder der Industrie sind drei Prozent, und die Mitgliedsbeiträge sind 25 bis 30 Prozent. Es geht uns einfach gegen den Strich, dass etwas, das auf Freiwilligkeit basiert, so in der Verfassung festgeschrieben wird, dass es überhaupt nicht mehr zurückentwickelt werden kann. Unsere Mitglieder sind unisono der Meinung, dass das unseren Vorstellungen von Wettbewerb, Offenheit, Liberalität nicht entspricht. Wir wollen nicht von einer Organisation vertreten werden, die verfassungsrechtlich hundertprozentig abgesichert ist und daher Anpassungen nicht machen muss.

STANDARD: Anderes Thema: Was halten Sie von der Nicht-Schulpolitik der Regierung?

Sorger: Die Vereinigung hat einen zukunftsorientierten Schulreformplan vorgelegt, aus dem hat sich jede Partei nur das genommen, was ihr passt. Daher unser Appell, es muss doch möglich sein, zu einer zukunftsorientierten Form zu finden. Andererseits: Wenn es stimmt, dass sich in einer Umfrage 90 Prozent gegen die Gesamtschule ausgesprochen haben, dann muss man aufklären und in Modellversuchen das qualitativ abstützen. Wir haben schon einen Kernsatz auch: Die Lehrer gehören aufgewertet, das kostet Geld. Oder, wenn sie nicht funktionieren, mit einer anderen Aufgabe versehen.

STANDARD: Also auch die Industriellenvereinigung ist für die Gesamtschule und spricht sich gegen eine Selektion mit zehn Jahren aus.

Sorger: Wir sagen nicht einfach, die Gesamtschule muss her. Für uns steht die Leistungsdifferenzierung innerhalb des Systems, nämlich der Schüler und auch der Lehrer, im Vordergrund. Es muss aber ein Angebot für alle Schüler sein.

STANDARD: Als Ganztagsschule.

Sorger: Für uns steht die Ganztagsschule im Vordergrund. (Hans Rauscher, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 2./3.11.2007)