Die Tage des Hotel Kyjev in Bratislava sind gezählt. Wo einst Staatsbonzen und Delegierte, in späteren Jahren dann Ostromantiker abstiegen, werden bald die Bagger anrollen. Ein Stück sozialistischer Architekturgeschichte wird damit zerstört. Nachzulesen im Buch Eastmodern.

Fotos: Hertha Hurnaus
Wer von der Slowakei spricht, der denkt vielleicht an die Hohe Tatra, an geräucherten Käse und an hölzerne Kochlöffel mit mühselig eingeschnitztem Ornament im Stiel. Kaum jemand wagt auch nur einen Gedanken an Architektur und außergewöhnliches Design, schon gar nicht, wenn es um die Sechziger- und Siebzigerjahre geht. "Im Bewusstsein der westlichen Welt hat die Slowakei bis heute keine Konturen", sagen die beiden Architekten Benjamin Konrad und Maik Novotny, "Bratislava ist eine der jüngsten Hauptstädte Europas, doch nur die wenigsten haben ernsthaft ein Bild davon."

Gemeinsam mit der Fotografin Hertha Hurnaus reisten die beiden Architekten jahrelang durch die entferntesten Winkel der Slowakei und zoomten in Vergessenheit geratene Bauwerke heran, die dereinst in der stolzen Blüte des Sozialismus entstanden waren: Kurhotels, Fernsehtürme, Skisprungschanzen, Krematorien und Schulen. Auch in der Hauptstadt Bratislava fand sich eine Handvoll bedeutender Baudenkmäler aus den Sechzigern und Siebzigern. Zu den dokumentierten Bauten zählen die Neue Brücke über die Donau (1968-1973), die auf dem Kopf stehende Pyramide des Slowakischen Rundfunks (1962–1985), die oft verteufelte Nationalgalerie von Vladimír Dedecek (1967–1979) sowie das 20-stöckige Hotel Kyjev, das wie ein steinerner Koloss hinter der pittoresken Altstadt in den Himmel ragt (1961–1973).

Wie Grüße aus einer nie eingetretenen Zukunft stehen die baulichen Artefakte in der Stadt herum und verstören die Gemüter bis heute. Die einen finden sie hässlich, die anderen sind von der slowakischen Moderne schlichtweg fasziniert. Aus dieser Spannung ergibt sich, dass viele dieser Bauten heute wie vergessene Kulissen aus einem Science-Fiction-Film wirken, abgenutzt und ausgestorben, geisterhaft und menschenleer. "Die slowakische Architektur dieser Zeit ist einzigartig, ja beinahe absurd", erklärt das fanatische Trio, das seit 2004 unter dem Vereinstitel Ostmoderne firmiert, "für uns war Bratislava eine Goldgrube an Baudenkmälern, die es in dieser Art in Österreich nicht gibt. In einem demokratischen System sind derartige langfristige, aufwändige und zum Teil irrationale Planungen kaum möglich."

Das gehört gewürdigt. Nach langer Zeit der minutiösen und intensiven Recherche schnürten die drei Ostmodernisten ihre unbändigbare Euphorie in ein Buch, das dieser Tage im Springer Verlag erschienen ist. Der prächtige Bildband gibt Einblick in die heldenhafte Baumeisterkunst der Slowakei, in gestrige (aber nicht immer überholte) Visionen von morgen, schließlich auch in die politischen Umstände des Sozialismus nach 1960. "Wenn man mit den Hintergründen der damaligen Zeit nicht vertraut ist", sagt Maik Novotny, "dann kann man nicht nachvollziehen, wie diese Gebäude überhaupt entstehen konnten." Tatsache ist, dass die Stadtregierung von Bratislava davon geträumt hatte, quer durch die ganze Stadt eine repräsentative Straßenachse zu legen. Gemäß den Ansätzen der Moderne sollten in der untersten Ebene die Autos fahren, während im ersten Stock die Fußgänger über Galerien und Brücken von einem Gebäude zum anderen gelangen sollten. Einzelne Projekte wurden realisiert, die Achse selbst blieb jedoch eine Vision auf dem Papier.

Verkannte Ostmoderne

In der antrainierten Abneigung gegen alles, was der sozialistischen Ära entsprungen war, sind sich die Slowaken bisweilen nicht dessen gewahr, welche kulturellen Werte in diesen Bauwerken schlummern. "Manche Leute verstehen die Architektur dieser Zeit ausschließlich als Produkte des kommunistischen Regimes", sagt Henrieta Moravcíková, Architekturhistorikerin und Slowakei-Vorsitzende des internationalen Erhaltungskomitees docomomo, "emotionell hängen viele Slowaken an diesen repräsentativen Gebäuden, weil dort jeder schon einmal Studentenfeste, Hochzeiten oder Banketts gefeiert hat, aber in rationeller Hinsicht werden diese Gebäude abgelehnt – sie sind zu abstrakt und zu monumental."

Die Original-Einrichtung des Panoramarestaurants auf der Neuen Brücke etwa wurde in einer Nacht- und Nebelaktion entfernt und gegen billiges und geschmackloses Allerweltsmobiliar ausgetauscht. Von manchen Gebäuden lösen sich die Fassadenplatten, Feuchtigkeit dringt ein, Fenster sind zersprungen, die Tore für immer verschlossen. In diesem Sinne kommt das Buch von Hertha Hurnaus, Benjamin Konrad und Maik Novotny gerade recht. Denn dem größten Hotel des Landes droht das Aus. "Wir wissen nicht, wie es weiter geht", sagt Oleg Kuchar, Direktor des Hotel Kyjev, "wir werden den Hotelbetrieb aufrechterhalten, solange es geht – und eines Tages wird die Abrissbirne anrollen."

Verantwortlich dafür ist das tschechische Development-Unternehmen Lordship Estates. Schon vor Jahren hatte man es auf das Areal des Kyjev-Hotels und des benachbarten Tesco-Kaufhauses abgesehen. Wenn alles nach Plan geht, soll nächstes Jahr die gesamte Parzelle dem Erdboden gleichgemacht werden. An ihre Stelle tritt ein 30.000-Quadratmeter-Projekt mitsamt Büros, Einkaufszentrum und Multiplex-Kino. "Der Entwurf für die neue Centre Plaza ist im Grunde schon fertig", erklärt Juraj Malý, zuständiger Projektmanager bei Lordship auf Anfrage des Standard, "nähere Informationen wollen wir vorerst jedoch nicht aus der Hand geben. Im Augenblick laufen die Verhandlungen mit der Stadt." Zwar hatte die Stadtregierung für das 200 Millionen Euro teure Projekt ein Wettbewerbsverfahren eingefordert, doch wie es scheint, haben sich die Dinge in der Zwischenzeit anders entwickelt.

Und was sagt Architekt Ivan Matušík? Mit nur 30 Jahren hatte der Jungspund einst den Wettbewerb für das Hotel Kyjev gewonnen. "Ich habe mich schon einmal für die Erhaltung eines meiner Bauwerke eingesetzt. In den Neunziger Jahren habe ich einen Protestbrief gegen den Umbau des Kaufhauses geschrieben. Ich wurde angezeigt und musste vor Gericht. Es hieß, ich würde den neuen Besitzer in seinen Eigentumsrechten behindern." Autorenrecht zähle in der Slowakei eben nicht viel, schon gar nicht, was die Gebäude der späten Ostmoderne betrifft. Sich mit dem Grundstückseigentümer des Hotel Kyjev anzulegen, hätte wohl wenig Sinn. Der gesamte Komplex ist mittlerweile in Besitz des Investors.

"Was die Zukunft des Hotel Kyjev betrifft, bin ich mittlerweile sehr skeptisch", sagt Henrieta Moravcíková, "wie immer werden die ökonomischen Aspekte überwiegen, und wir haben nicht genug Kraft, um diese Entwicklung zu stoppen." Die Tage des großen Hotel Kyjev sind gezählt. Staatsbonzen mit Hornbrille und Geschäftsleute aus dem Westen stiegen hier einst ab. Im Konferenzsaal wurden Besprechungen abgehalten, in der roten Bar trank man dann Vodka-Drinks und hörte schummrige Musik. In den Räumlichkeiten des Hotel Kyjev kann man sich von dieser eigenartigen Zeit noch ein Bild machen. Bald nur noch im Buch. (Wojciech Czaja, ALBUM/DER STANDARD/Printausgabe, 03./04.11.2007)