Der Olymp ist ein Massiv, mehr eine Verdichtung von Gipfeln denn ein singulärer Felsbrocken.

Foto: Griechisches Tourismusamt

Spitz ist er wohl und von flauschig weichen Wolken und Sternenreigen umkränzt – in etwa so wie der Gipfel der Paramount Pictures. Doch je näher der mythische Berg rückt, desto klarer wird, dass der Olymp ein Massiv ist, mehr Verdichtung von Gipfeln denn singulärer Felsbrocken. Um einen normalen Berg handelt es sich deshalb freilich nicht.

Der Olymp ist bekanntlich auch eine Wohnstätte der Götter, selbst wenn der Makler, der sie ihnen vermittelt hatte, ein Teufel gewesen sein muss. Eine Versprechung hatte er trotzdem halten können, als er Zeus bequatschte, sich hier niederzulassen. Die Aussicht auf die nördliche Ägäis – noch immer zum Niederbrechen schön. Über Poseidons große Badewanne reicht sie, und ansonsten über ein vierzig Kilometer langes Massiv, dessen schroffe Gipfel im dunstigen Blaugrau einer himmlischen Optik zerfließen und das die fruchtbaren Ebenen von Makedonien und Thessalien mit großer Geste teilt. Gerade mal zwanzig Kilometer liegen zwischen dem höchsten Gipfel, dem Mytikas, und dem Meer.

Trockener Tempel

Andererseits hatte man den Göttern mit dem Sitz am Olymp aber auch eine Art Substandard-Penthouse vermittelt. Fließwasser gibt es hier von Jahr zu Jahr weniger, klagen die im Mezzanin des Olymp angesiedelten Hüttenwirte des griechischen Bergsteigervereins SEO, am allerwenigsten sprudelt es in den oberen Regionen. Auch sonst hätten die Götter einiges nachträglich beanstanden können: Statt Grünruhelage finden sich hier im Regenschatten steile, zerrissene Felswände, deren graue Hänge unversehens Richtung Unterwelt zu führen scheinen. Doch am höllischsten ist die Klausel mit dem "Treppensteigen": 2917 Höhenmeter und kein Lift!

Ins Philosophieren kommt man an den steilen Hängen des Olymp aber bis heute. Und vorher ins Transpirieren. Und zwischendurch immer wieder auch ins Wundern, schon gar über die Landschaft, die sich grandios verdichtet, sobald man den Saloniki-Athen-Highway verlassen, und den Gateway zum Götterberg vor sich hat. Litochoro heißt der Ort, an dem die ganz Harten unter den jährlich 120.000 Olymp-Bezwingern ihre Bergstiefel schnüren und wo auch jene losstapfen, die kein Auto haben oder für das Taxi, das sie zum höher gelegenen Parkplatz von Prionia bringt, kein Geld. Wer die Wanderung in Litochoro beginnt, der legt auf die Dreitagestour, die man am besten im Herbst und frühestens ab Mai unternimmt, nämlich noch siebenhundert Höhenmeter drauf.

Kein Fehler ist freilich auch der herkömmliche Einstieg am Ende der fahrbaren Straße, die, am Einsiedlerkloster Nea Agios Dionysos vorbei, in engen Serpentinen auf 1100 Meter Seehöhe führt. Dichte Buchenwälder und kleinere Wasserfälle, das Moos auf den riesigen Steinen, durch die sich das erste Wegstück schlängelt – all das lässt ein spontanes Voralpen-Déjà-vu aufkommen. Zugleich aber auch eine Vorahnung, warum die Unesco den Olymp 1981 zum Biosphären-Reservat erklärte und die griechische Regierung das heute 17.000 Hektar umfassende Areal zum Naturschutzgebiet.

Pflanzenkleidertausch

Siebzehnhundert Pflanzenarten finden sich hier, dreiundzwanzig davon endemisch – eine Vielfalt, die man sich eher von einem Regenwald erwarten würde. Näheres zu den Falten des lokalen Pflanzenkleides verrät der lange Marsch zu den zumindest tausend Meter höher gelegenen Schutzhütten des Alpenvereins und erst recht der Kraftakt des Gipfelsturms selbst. Vier Vegetationszonen passiert man dabei, einen mitunter pittoresk anmutenden Mix aus Wienerwald, Eisenwurzen und Mittelmeer. Immergrüne Eichen, Zedern und der seltenere Sandbeerbaum schlagen neben Terpentin-Pistazie oder Manna-Esche ihre Wurzeln. Später stehen Eiben, Schwarzkiefer, Feldulme und Kornellkirsche herum und über 1400 Meter Seehöhe die seltene Kiefernart des Robolo-Waldes. Meterdicke Stämme mitunter, und nicht selten tragen sie das Brandzeichen des Blitzeschleuderers Zeus. Gottlos launisch ist die Witterung hier aber generell: Von Wolken verhangen sind die Gipfel nämlich fast immer. Denn vor allem ist der Olymp ja auch als Wetterecke verschrien, mit blitzartig aufziehenden Regenschauern, und heftigen Temperaturstürzen.

Damit verbindet sich freilich auch eine Chance – nämlich die endgültige Entscheidung über das quälende Finale des Aufstiegs in die Hände der Götter zu legen. Mitunter erspart einem Zeus damit die Enttäuschung, ganz oben auf dem Olymp statt dem Gelage der Götter nur verschwitzte Bergwanderer und Familienväter mit dampfendem Wohlstandsspeck anzutreffen.

In meinem Fall war es sogar ganz sicher so. Zeus schickte mir Wolken und dann starken Regen, vielleicht auch als Strafe dafür, den Aufstieg von zwei Tagen auf einen straffen zu wollen. Zuletzt schleuderte Zeus auch noch ein wenig milden Spott hinterher: in Form von neuerlicher Sonne und Regenbogen und dann wieder feinem Niesel, der wie Ambrosia vom Himmel rollte. Doch da hatte er mich längst auf tiefere Höhenlagen abgedrängt.

Bleibt für den Rückweg noch Kraft für Notizen in Sachen Fauna: ein Vogel mit voller roter Brust (nicht näher identifiziert). Eine Schlange, schwarz, dünn, in etwa so wie die Sesamkringel, die in Thessalonikis Markt verkauft werden und sich zarter ausnehmen als der griechische Durchschnitts-Kringel. Und als Highlight: zwei Ziegen. Die gibt es woanders auch, aber diese beiden waren besonders. Ich nehme mal an, eine davon war vermutlich Pan und die andere Zeus – leicht erkennbar am kecken Bärtchen. (Robert Haidinger/Der Standard/Printausgabe/3./4.11.2007)