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Hoffnungslosigkeit als Grundstimmung: Menschen mit Depressionen sehen keinen Ausweg

Foto: APA/dpa/Patrick Seeger

Schlechte Tage kennt jeder. "Ich bin total depressiv", beschreibt dann so mancher seinen Gemütszustand. Mit den seelischen Qualen, die Menschen erleiden, die wirklich an Depression erkranken, hat das aber meist wenig zu tun. Ihr Befinden ist von Angst und Hoffnungslosigkeit geprägt, häufig reagieren sie mit Rückzug. Schwer Depressive können oft nicht mehr arbeiten, der Alltag wird zur Herausforderung.

 

Zweithäufigste Krankheit

Mindestens 400.000 Betroffene werden österreichweit derzeit geschätzt. Bis 2020 soll das Seelenleiden laut WHO-Prognosen nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen weltweit die zweithäufigste Krankheit sein.

Was bei einer Depression im Körper vor sich geht, haben Neurobiologen und Gehirnforscher in den vergangenen Jahren ziemlich genau erforscht.

Psychostruktur

Die Psychiaterin Marianne Springer-Kremser, Vorstehende der Wiener Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie, will Depression aber auf keinen Fall als eine rein biochemische Angelegenheit verstanden wissen: "Leichte bis mittelschwere Depressionen können durch dramatische Ereignisse im Leben, wie den Verlust eines geliebten Menschen oder des Arbeitsplatzes, ausgelöst werden." Bei schweren Depressionen gebe es zudem einen klaren Zusammenhang mit Verlusten in der Kindheit, wie den Tod einer Bezugsperson oder der Verletzung der körperlichen Integrität, etwa durch Missbrauch oder Krankheit.

Verlust betrauern

Allerdings entwickelt nicht jeder Mensch, der als Kind tragische Erfahrungen machte, später eine Depression. "Gefährdet sind vor allem jene, die ihren Verlust nicht betrauern durften", erklärt die Psychoanalytikerin.

Das könnte auch ein Grund sein, warum bei Frauen doppelt so häufig Depressionen diagnostiziert werden wie bei Männern. "Im weiblichen Lebenszyklus gibt es viele Verluste", sagt Springer-Kremser. "Von den Veränderungen des Körperbildes in der Pubertät über die Schwangerschaft und Geburt bis zur Menopause." Noch heute sind diese Ereignisse oft mit Scham besetzt, laut Springer-Kremser ebenfalls eine Komponente bei der Depression.

Bei Männern weniger erkannt

Anderseits glauben heute viele Forscher, dass Depressionen bei beiden Geschlechtern gleich oft vorkommen, nur dass sie bei Männern weniger erkannt werden. Zum einen, weil Männer sich wehren, diese immer noch als Schwäche geltende Krankheit zuzugeben, zum anderen weil sie sich anders ausdrückt: So neigen depressive Männer eher zu Aggression als zur Niedergeschlagenheit. "Einfache Erklärungen für die Depression gibt es nicht", fasst Springer-Kremser zusammen.

Viele Faktoren

Auch Gernot Sonneck, Vorstand des Instituts für Medizinische Psychologie an der Med-Uni Wien unterstreicht: "Eine Depression ist immer eine Interaktion von biologischen, psychologischen und sozio-kulturellen Faktoren." So weiß man heute, dass die Gene eine Rolle dabei spielen, ob äußere Umstände zu einer Depression führen oder nicht. Außerdem könnten Menschen, die gelernt haben, gut mit sich selbst umzugehen, also auf die Ernährung, ausreichend Bewegung und genügend Entspannung zu achten, schwierigere Situationen besser meistern, sagt Sonneck. Wichtig sei auch das soziale Netz, Einsamkeit verstärke die Gefahr einer Depression.

Behandlung möglich

Was Psychologen und Psychiater betonen: Depressionen können behandelt werden. Als optimale Behandlung von schweren Depressionen gilt heute eine Kombinations- therapie aus Psychopharmaka und Psychotherapie. Aber trotz steigender Sensibilität für die Krankheit werden immer noch rund 50 Prozent der Depressionen nicht erkannt - mit fatalen Folgen. Fast alle schwer Depressiven haben Todesgedanken, 15 Prozent sterben durch Suizid. Bei den meisten Suiziden spielen psychische Erkrankungen eine wichtige Rolle.

Bündnis gegen Depressionen

Ein Ziel des Österreichischen Bündnisses gegen Depression, Teil der "European Alliance Against Depression", ist es aufzuklären. Eine weitere Säule bildet die Kooperation mit Berufsgruppen, die mit depressiven Menschen in Kontakt kommen, wie Lehrer, Polizisten oder Pflegepersonal. "Neben der Sensibilisierung geht es uns auch um die Entstigmatisierung jener, die von der Volkskrankheit betroffen sind", erklärt Nadja Springer, Projektmanagerin des Wiener Bündnisses gegen Depression. (DER STANDARD, Printausgabe, Sabina Auckenthaler, 5.11.2007)