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Die Linzer Juristin schottete ihre drei Töchter jahrelang ab, ließ sie nicht in die Schule gehen. Das Klagenfurter Gericht wertete das als Vernachlässigung.

Foto: APA/Eggenbergrer

Klagenfurt – Grau und unscheinbar saß sie auf der Anklagebank. Versteinert waren Gesicht und Körpersilhouette, als im Landesgericht Klagenfurt das Urteil in dem aufsehenerregenden Prozess gegen sie fiel: Einweisung in eine Anstalt für abnorme Rechtsbrecher.

Ingrid L. ist keine gewöhnliche Angeklagte, vielmehr selbst eine "Betroffene": Sie leidet an Schizophrenie.

Der 53-jährigen Juristin aus Oberösterreich wird zur Last gelegt, Elisabeth (heute 21), Katharina (18) und Victoria (15) jahrelang von der Außenwelt abgeschottet zu haben. Die Kinder hätten unter unvorstellbaren Zuständen in einem verdreckten, zugemüllten Haus am Linzer Pöstlingberg leben müssen. Dorthin habe sich die Mutter nach der Scheidung vom Vater, einem prominenten Linzer Richter, zurückgezogen. Ingrid L. habe die Mädchen vom Schulbesuch ferngehalten und ihnen ihre wahnhaften Vorstellungen von einer feindlichen Umwelt eingepflanzt. Der Hauptfeind, das Böse schlechthin, sei der Vater gewesen. Die beiden älteren Mädchen, heute noch schwer an den Folgen leidend, waren nicht vernehmungsfähig. Sie leben heute in einer Kärntner Therapieeinrichtung, die jüngste Tochter, die die schrecklichen Jahre am besten verkraften konnte, beim Vater.

Bestand so etwas wie ein subjektiver Tatvorsatz, den Kindern ein ganz normales Leben mit allen sozialen und Bildungschancen zu verwehren? Das war eine der Hauptfragen, die es in diesem Prozess zu klären galt, der wegen Befangenheit der oberösterreichischen Richter nach Klagenfurt delegiert worden war. Die Staatsanwältin sprach von einer "tragischen Situation", die aufgrund der Krankheit der Mutter entstanden sei. Dennoch sei der "kausale Zusammenhang" zwischen der Wahnwelt der Mutter und dem Leiden der Kinder erwiesen. Daher sei die "Betroffene" auch in Zukunft als "gefährlich" für ihre Kinder einzustufen. Ingrid L.s Verteidiger plädierte für eine Unterbringung in einer überwachten Wohngemeinschaft. Ihr Wille sei durch die Krankheit "verfälscht worden", sie sei überzeugt gewesen, ihre Kinder "bestmöglich zu betreuen und zu beschützen".

Offen blieb die jahrelange Untätigkeit der zuständigen Behörden, die das Martyrium der Kinder ahnten, aber kaum etwas unternahmen, bis der Mutter 2005 die Kinder entzogen wurden. Nicht Gegenstand des Prozesses war das Verhalten des Vaters, der auch lange Zeit nichts gewusst haben will. Die Obsorge für die Kinder konnte oder wollte er nicht durchsetzen. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. (Elisabeth Steiner/ DER STANDARD – Printausgabe, 7. November 2007)