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Grafik: apa

Im Laufschritt in die "Neue Mittelschule": Nach zähen Verhandlungen wird nun Tempo gemacht.

Foto: Standard/Urban
Keine gemeinsame Schule für alle Zehn- bis 14-Jährigen. Das ist das konkrete Ergebnis der rot-schwarzen Einigung im Schulstreit. Eine "Gesamtschule" in einer größeren Region wird nämlich nach aktuellem Stand der Dinge gar nicht kommen. Zwar wird es in zehn Regionen (Grafik unten) einzelne "Modellversuche zur Weiterentwicklung der Sekundarstufe I" geben, die mit verschiedenen Unterrichtsmethoden experimentieren, etwa einem Abgehen von der starren 50-Minuten-Unterrichtseinheit oder einer Einschränkung des "Sitzenbleibens". Die echte organisatorische Form einer Gesamtschule, also wirklich eine gemeinsame Schule für alle Kinder einer Region, ist aber weit und breit nicht in Sicht.

Eine Gefahr, die der ÖVP-Vordenker und langjährige Vorkämpfer für eine gemeinsame Schule, der steirische Bundesrat Andreas Schnider, nicht zu Unrecht heraufdräuen sieht. (Interview unten). Vom ursprünglichen SPÖ-Ziel einer breiteren Erprobung der gemeinsamen Schule in einem größeren Gebiet ist nichts übrig. Dieses Flächenmodell wird per se durch den Gesetzesentwurf, der auf Wunsch der ÖVP eine garantierte Ausweich-AHS in jedem politischen Bezirk vorschreibt, boykottiert.

Am Tag nach der SP/VP-Einigung über die Zulassung von Modellversuchen zeigte sich, dass in den prinzipiell teilnahmeinteressierten Regionen bis jetzt fast nur Hauptschulen mitmachen wollen. Derzeit sieht es sogar so aus, dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass vorerst keine einzige AHS-Unterstufe bei der "Neuen Mittelstufe" teilnimmt. In Wien und Niederösterreich ist der Start von Modellversuchen 2009 geplant (Interview rechts).

Wer voller Elan bereits bei den Vorarbeiten für den Start im Herbst 2008 ist, sind die Steirer. In den Modellregionen Graz und Voitsberg/Köflach sollen die betroffenen Eltern und Lehrer laut Bildungslandesrätin Bettina Vollath (SP) bis Ende der Woche abstimmen, ob ihre Schule am Versuch teilnehmen will.

Die politischen Konkurrenten der rot-schwarzen Bildungsverhandler vernichteten den erzielten Entwurf für eine Schulreform - wenn auch aus unterschiedlichen Motiven.

Grünen-Chef Alexander Van der Bellen empörte sich im Standard-Gespräch über die "absolut lächerliche" Einigung. "Das ist keine gemeinsame Schule, das sind punktuelle Projekte. Die ÖVP hat nur zugestimmt im realistischen Wissen, dass das ein Rohrkrepierer ist. Die SPÖ hofft offenbar, dass ein Dammbruch erfolgt. Das dauert alles viel zu lang." Van der Bellen fürchtet, dass acht Jahre dahingetestet wird "und sonst passiert nix in der Bildungspolitik. Da wird eine ganze Kinder-Generation im Stich gelassen."

"Viel Lärm um Nichts", meinte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zur Schulreform. Diese sei "so klein, dass sie gar nicht sichtbar ist". Für BZÖ-Chef Peter Westenthaler ist "die groß angekündigte Bildungsreform gescheitert und das Ende der Gesamtschule da, bevor sie noch begonnen hat." - Allerdings nicht in Kärnten, das von seinem Parteifreund Jörg Haider regiert wird. Der BZÖ-Landeshauptmann kritisierte den Entwurf als "Sichern der wohlerworbenen Rechte einer Klasse". Die zu frühe Selektion bleibe bestehen. Kärnten wird 2008 zwei Modelle starten.

Wissenschaftsminister Johannes Hahn (VP) setzt auf Zeit und Geduld. Die Kritiker sollten doch die Ergebnisse der Versuche abwarten. VP-Bildungssprecher Fritz Neugebauer freute sich besonders, dass Bildungsministerin Claudia Schmied (SP) "von ihren ideologischen Fantastereien wieder auf dem Boden der Koalitionsvereinbarung gelandet ist".

Zwei Lehrer-Klassen

Die Lehrerschaft ist gespalten. Die AHS-Lehrergewerkschaft, massiv gegen die gemeinsame Schule, bejubelte den Sieg der "Stimmen der pädagogischen Vernunft". Die Pflichtschullehrer bedauern die vergebene Chance zur echten Erprobung eines Gesamtschulsystems. Besonders weh tut ihnen die anhaltende Schlechterstellung der Hauptschullehrer gegenüber den AHS-Kollegen. (Andrea Heigl Lisa Nimmervoll/DER STANDARD Printausgabe, 7. November 2007)