Keira Knightley und James McAvoy in Joe Wrights Verfilmung von Ian McEwans Bestseller "Abbitte" ("Atonement").

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Wien – Von einer flüchtigen Wahrnehmung zu einer falschen Annahme ist es manchmal nur ein kurzer Weg. Heimliche Wünsche der Betrachterin beschleunigen den Verlauf noch. Die 13-jährige Briony (Saoirse Ronan) beobachtet, wie ihre Schwester Cecilia (Keira Knightley) in Unterwäsche in einen Brunnen steigt. Robbie (James McAvoy), der Sohn der Haushälterin, sieht ihr dabei zu.

Was sie reden, kann Briony nicht hören. Die erotische Qualität der Szene ist ihr jedoch bewusst, ohne dass sie davon noch einen klaren Begriff hat. Was sie sieht, ziemt sich nicht. Mitte der 30er-Jahre sind Klassengegensätze in England immer noch ein wirksames Mittel der Distinktion.

Joe Wrights Abbitte (Atonement), die mittlerweile bereits neunte Adaption eines Romans von Ian McEwan, beginnt mit einem Skandal, der auf Missinterpretationen fußt. In elegant verschachtelten Szenenfolgen, die das Geschehen immer wieder in Tableaus einfrieren, breitet der Film die Grundlage für ein Drama aus, das drei Leben in ein prekäres Verhältnis drängt.

Briony wird am Ende eines langen Tages die Vermutung äußern, dass Robbie ihre Schwester Cecilia vergewaltigt hat. In Wahrheit geht mit dem Mädchen, das so gerne Theaterstücke verfasst, die durch Eifersucht genährte Fantasie durch. Aus einem Sommer, in dem sich die vornehme Gesellschaft zuallererst dem Ennui verpflichtet sah, wird so ein Menetekel der nahen Ära historischer Verwüstungen.

Abbitte ist ein Hochglanzprodukt des gerade wieder recht selbstbewussten britischen Kinos, das wenig Raum für Unerwartetes lässt. Von der Besetzung mit zwei Jungstars der Insel über den viel gelobten Nachwuchsregisseur Wright (Stolz und Vorurteil) bis zur Verwendung einer prestigeträchtigen Vorlage, die mit Christopher Hampton von einem Fachmann für die Leinwand adaptiert wurde, gibt sich der Film als kalkulierter Blockbuster des Arthouse zu erkennen, der vom ersten – und noch gelungensten – Teil an versucht, mit kunstfertigen Bildern zu verblüffen. Das period piece soll schick wie ein Modebulletin werden, und wenn man Keira Knightley im Badeanzug sieht, will man das sogar einen Augenblick lang richtig finden.

Leben und Sprache

Aber dann erinnert man sich, dass es in McEwans Buch auch um den Prozess des Schreibens und Überschreibens, um die Bewältigung des Lebens mittels Sprache ging. Der zweite Abschnitt des Films erzählt davon wenig. Gezeigt wird die Landung der Briten 1939 an der Küste der Normandie, bei der Robbie verwundet wird, parallel dazu Brionys Bußegang als Krankenschwester: ein dekorativer Bilderteppich, der letztlich sein Drama vergisst.

Den Abschluss macht Vanessa Redgrave als mittlerweile gealterte Dichterin Briony, die in einem TV-Interview die Wahrheit des Geschehens lüftet. Auch dieser Coup geht irgendwie ins Leere, weil er wie der restliche Film mit Effekt etwas behauptet, das er dann nicht einzulösen vermag. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe, 07.11.2007)