Hier an der Meerenge des Bosporus zwischen dem Schwarzen Meer (oben) und dem Marmarameer (unten) soll das biblische Inferno seinen Ausgang genommen haben.

Foto: Nasa
Seit einigen Jahren wird vermutet, dass das Schwarze Meer Schauplatz der biblischen Sintflut war, über deren Ablauf Wissenschafter bis heute streiten. Doch nun wankt die Theorie insgesamt: Die Katastrophe könnte sich in Israel ereignet haben.

*****

An den Ufern des Schwarzen Meeres ging vor etwa 8000 Jahren die Welt unter. Meter für Meter stieg das Wasser. In kürzester Zeit verschwanden 100.000 Quadratkilometer Ackerland.

Die Anwohner flüchteten in Panik. Viele ertranken. So habe sich das Unglück zugetragen, das hinter dem Bericht der biblischen Sintflut steckt, glauben die Meeresgeologen Walter Pitman und William Ryan vom Lamont-Doherty Earth Observatory in Palisades, USA. Das Inferno habe seinen Ursprung am Bosporus genommen, der Meerenge zwischen Europa und Asien. Dort sei ein natürlicher Damm gebrochen. Die Sturzflut habe sich mit der 200facher Wucht der Niagarafälle aus dem Marmarameer ins Schwarze Meer ergossen.

Nachdem vor acht Jahren der Archäologe Robert Ballard Überreste eines Lehmhauses am Grund des Schwarzen Meeres in 170 Meter Tiefe entdeckt haben wollte, erlangte die Sintflut-Theorie von Pitman und Ryan Weltruhm. „Noahs Haus entdeckt“, meldete etwa der Daily Telegraph.

Doch nun wankt die Theorie. Stattdessen stellen Forscher ein anderes Szenario in Aussicht: Die Sintflut könnte sich in Israel ereignet haben. Und das, obwohl das Szenario am Schwarzen Meer plausibel erscheint. Denn die Mega-Flut fällt in die Zeit einer weltweiten Klimaänderung: Nach dem Ende der jüngsten Eiszeit schmolzen die Gletscher, die damals weite Teile der Erde bedeckten. Das Schmelzwasser ließ die Pegel der Ozeane um 130 Meter ansteigen, acht Prozent der Landfläche versanken. Irgendwann muss das Mittelmeer so weit angestiegen sein, dass sein Wasser ins Marmarameer und später ins Schwarze Meer überlief.

Das Buch „The Black Sea Flood Question“ versammelt jetzt 35 aktuelle Studien zur Schwarzmeer-These. Die Ergebnisse der meisten Arbeiten schwankten in ihrer Einschätzung zwischen „fragwürdig“ und ablehnend, erklärt Victor Baker von der University of Arizona im Vorwort. Doch Ryan und Pitman beharren auf ihrer These. Ihre wichtigsten Beweisstücke sind zwei verschiedene Muscheltypen vom Grund des Schwarzen Meeres. Die einen hatten vor etwa 8000 Jahren in Süßwasser gelebt, die anderen 500 Jahre vorher im Salzwasser. Die Folgerung: Salzwasser muss ins Schwarze Meer eingedrungen sein.

Prinzipiell könne das stimmen, räumen die kanadischen Geologen Ali Aksu und Rick Hiscott von der Memorial University of Newfoundland ein. Allerdings liege das Ereignis wohl weiter zurück, und vor allem sei es dabei bedeutend beschaulicher zugegangen, als Ryan Pitman behaupteten. Das Schwarze Meer habe sich langsam gefüllt, von einer Sintflut keine Rede.

Trockener Ort

Aksu hat bei einer Bohrung am Grund des Schwarzen Meeres Sedimente entdeckt, die sich eindeutig in tiefem Wasser abgelagert haben – an einem Ort, der zur fraglichen Zeit noch hätte trocken gewesen sein müssen. Bereits vor 9500 Jahren sei dann Mittelmeerwasser eingeströmt und habe den Spiegel des Schwarzen Meeres „sehr langsam“ angehoben – um drei Zentimeter pro Jahrhundert. Die Sintflut-Theorie sei „ein Mythos“, sagt Yonko-Hombach. Andere Forscher wie Dwight Coleman von der University of Rhode Island und Oya Algan von der Uni Istanbul jedoch stützen die Sintflut-These. Sie fanden Hinweise, dass die Ufer der Region tatsächlich rasch geflutet wurden: Am Grund des Schwarzen Meeres entdeckten sie alte Küstenlinien, etwa untergegangene Strände, die aus der Zeit stammten, als das Schwarze Meer noch ein Süßwassersee war.

Der Pegel des Schwarzen Meeres müsse lange vor dem mutmaßlichen Sintflut-Datum gestiegen sein, meint Aksu. Denn auf dem Grund des Marmarameers am südlichen Ausgang des Bosporus hätten sie Ablagerungen entdeckt, die zeigten, dass vor 10.000 Jahren Wasser aus dem Schwarzen Meer durch den Bosporus geflossen sein müsse – also in umgekehrte Richtung als von den Sintflut-Anhängern angenommen.

Ein Trugschluss, widersprechen William Ryan und einige andere Geologen in der September-Ausgabe des Magazins Marine Geology (Bd. 243, S. 57, 2007). Die betreffenden Ablagerungen stammten nicht aus dem Schwarzen Meer, sondern aus einem Fluss. Doch auch die vermeintlichen Siedlungsspuren erwiesen sich offenbar als Irrtum: Bei dem Lehmhaus am Meeresboden handle es sich vermutlich schlicht um Gestein und Holz, das zufällig der Form eines Gebäudes ähnelte, erklärt Allan Gilbert von der Fordham University

Dämpfer für Theorie

Archäologen und Sprachwissenschafter versetzen der Theorie von Pitman und Ryan weitere Dämpfer: Es gebe keine Hinweise dafür, dass Menschen vor rund 8000 Jahren vor einer Katastrophe aus der Schwarzmeer-Region geflohen seien, schreibt Valentina Yanko-Hombach. Vertreter der Schwarzmeer-Theorie beriefen sich bislang auf Flutsagen aus Rumänien, Griechenland und Anatolien. Insbesondere die Altersbestimmungen der Meeresablagerungen sollten mit Vorsicht bewertet werden, sagt der Geologe Liviu Giosan von der Woods Hole Oceanographic Institution.

So ist es kein Wunder, dass William Ryan seine Theorie nicht verloren gibt. Er verfüge über unveröffentlichte Daten, die zeigten, dass die Sintflut vor 8000 Jahren am Schwarzen Meer stattgefunden habe, erklärte er im Wissenschaftsblatt Science. Ryan suche seine Spuren auf der falschen Seite des Meeresbeckens, meint Rick Hiscott. Möglicherweise habe sich die Sintflut am Schwarzen Meer ereignet – jedoch im Norden und viele tausend Jahre früher. Kurz nach dem Ende der Eiszeit hätten sich über die Flüsse Dnjepr, Don, Wolga und Dnjestr große Mengen Schmelzwasser ins Schwarze Meer ergossen und Siedler vertrieben.

Während sich die Forscherwelt aufs Schwarze Meer konzentriert, verfolgen italienische Vulkanologen eine neue Spur: Vor 8300 Jahren hätten Tsunamis Dörfer an der Küste Israels ausgelöscht, berichten Maria Teresa Pareschi und ihre Kollegen vom Institut für Geophysik und Vulkanologie in Pisa im Fachblatt Geophysical Research Letters (Bd. 34, S. L16317, 2007). Lag dort der Schauplatz der Sintflut? (Axel Bojanowski/DER STANDARD, Printausgabe, 7.11.2007)