Von Marc Engelhardt aus Nairobi

Die Leichen lagen auf Weiden, unter Brücken oder im Gestrüpp, das die Gegend um die Ngong-Berge im Süden von Kenias Hauptstadt Nairobi umgibt. Wenn Bauern die Körper fanden, hatten Hyänen und andere Wildtiere oft nicht mehr viel übrig gelassen. In der Region herrschte Angst.

Einzig die Polizei schien unbesorgt zu sein. Oft ließ sie die Leichen einfach liegen. Wurden sie abgeholt, weigerten sich die Polizisten, den Tatort abzusperren, oder ließen alle persönlichen Gegenstände in der Wildnis zurück.

In den Hinterkopf geschossen

In einem Bericht hält jetzt Kenias Menschenrechtskommission der Polizei mehr als Desinteresse vor: Sie soll für die Ermordung der Gefundenen verantwortlich sein. Bis zu 500 Exekutionen, bei denen den Opfern aus der Nähe in den Hinterkopf geschossen wurde, wirft sie den Beamten vor, alle zwischen Juni und Oktober.

Polizei weist Vorwürfe zurück

Die Polizei wies am Dienstag alle Vorwürfe zurück, die Regierung schweigt dazu. Dabei hatten beide noch Anfang Juni ausdrücklich einen erbarmungslosen Kampf gegen Anhänger der kriminellen Mungiki-Sekte angekündigt. Sicherheitsminister John Michuki gab ganz offiziell die Devise aus, Verdächtige im Zweifel zu erschießen. "Wer eine Pistole hat, der hat es nicht anders verdient, als erschossen zu werden", sagte er.

Schutzgeld erpresst

Seit Juni wurden in den Leichenhäusern 454 Schussopfer verzeichnet. Im gesamten ersten Halbjahr 2007 waren es 189. Fast alle der meist nicht identifizierten Opfer waren junge Männer, die der Ethnie der Kikuyu angehören. "Mungiki", Kikuyu für Mob, heißt eine kriminelle Organisation, die Schutzgeld erpresst und im Wahlkampf auch Schläger an Politiker verkauft. Die Lage eskalierte, als die Mungiki Ende Mai zahlungsunwillige Busfahrer und Polizisten ermordete.

Slums wurden abgeriegelt

Die Polizei griff durch: Ganze Slums wurden abgeriegelt, hunderte Verdächtige auf Lastkraftwagen abtransportiert. Viele der Verschwundenen sollen unter den Toten sein, die in die Leichenhäuser gebracht worden waren. Als deren Leiter sich beschwerten, ihre Anlagen seien voll, seien die Leichen in der Wildnis deponiert worden.

Nicht alle, glauben die Menschenrechtler, wurden gefunden. Nur die Polizei, sagen sie, habe die Möglichkeit gehabt, Leichen über weite Strecken an den Straßensperren vorbei durch die Gegend zu fahren. (Marc Engelhardt aus Nairobi/ Der Standard - Printausgabe, 7. November 2007)