Franz-Josef Lackinger
Es gehört schon eine Verve der besonderen Art dazu, sich vorgeblich mit der jüngst von ÖVP-Seite aufgeworfenen Frage nach Aufnahmsprüfungen ins Gymnasium zu beschäftigen, um dann einen ganzen Artikel lang den abgeschmackten Vergleich des gesamten österreichischen Universitätssystem mit der amerikanischen Elite-Uni Harvard zu bemühen (Kommentar von Bernd Schilcher in DER STANDARD, 3. 8.).
Man könnte also getrost den in jeder Hinsicht zu Recht als ehemaligen Vordenker der steirischen VP bezeichneten Bernd Schilcher mit einem simplen "Thema verfehlt" aus den Reihen der seriösen Kommentatoren hinaus selektieren, wären da nicht, gut versteckt hinter einigen unbestreitbaren Fakten, eine Reihe von Perfiditäten, die einer Antwort bedürfen.
Orientierung, aber keine Auslese
Perfidität Nr. 1 ist die bewusste Gleichsetzung von Selektion (im Sinne von Auslese der Besten, wie von Amon vorgeschlagen) mit Wahl des passenden Bildungswegs (z.B. am Ende der Unterstufe). Kein SPÖ-Bildungspolitiker wird sich gegen Eignungstests und andere Beratungsinstrumente für Jugendliche und/oder deren Eltern aussprechen, die vor allem rund um die entscheidenden Weichenstellungen des Bildungssystems angeboten werden (für Zehnjährige, 14/15-Jährige bzw. 18/ 19-Jährige).
Im Gegenteil: Gerade die SPÖ hat viele Jahre die Einführung der, erst vor kurzem in der Unterstufe umgesetzten Bildungs- und Berufswegorientierung gefordert. Dies ist jedoch etwas ganz anderes, als Zehnjährige mit einer Momentaufnahme, die hauptsächlich bestimmte kognitive Fähigkeiten misst, für den Rest ihrer Schullaufbahn von höherer Bildung fern zu halten, wie es die konservative Idee der Aufnahmsprüfung impliziert.
International besonders früh
Perfidität Nr. 2 besteht darin, dass ausgerechnet ein prominenter VP-Bildungspolitiker dem derzeitigen österreichischen Bildungssystem "rigide Absonderungen" vorwirft. Wer besteht denn eigentlich seit Jahr und Tag darauf, dass eine der entscheidensten Selektionen für den weiteren Bildungsweg der/des Einzelnen international fast einzigartig früh, bereits nach der vierten Schulstufe fällt?
Perfidität Nr. 3 ist der, wie gesagt, abgeschmackte Vergleich des Vorgehens von amerikanischen Elite-Universitäten mit dem ambitionierten Versuch des östereichischen Bildungssystems, höhere Bildung nicht nur denen zukommen zu lassen, die es sich leisten können (plus ein paar Vorzeige-Arme, die es auch immer wieder einmal schaffen), sondern die Qualität des Bildungsangebots möglichst unabhängig von sozialen Kriterien zu machen. Zweifelsohne ist dieser Versuch durch einige Sparpakete ins Stocken geraten:
Immer weniger Stipendienbezieher
Die Zahl der Lehrenden ist bei Weitem nicht mit der Zahl der Studierenden mit gewachsen, die Quote der Stipendienbezieher und -bezieherinnen sinkt seit Jahren konstant, an die 70 Prozent der Studierenden müssen dazu verdienen etc. Das sind die wesentlichen Gründe für hohe Drop-Out-Raten und die durchschnittlich lange Studiendauer, die Schilcher einfach verschweigt.
Sicher sind auch die Studienwahl und einige damit verbundenen Absurditäten mit ein Grund für Probleme der österreichischen Universitäten. Hier wäre in aller erster Linie einmal die Studieninformation und -beratung angehender Maturanten und Maturantinnen zu verbessern, die immer noch im Argen liegt.
US-Universitäten kein Vorbild
Ganz sicher kein Vorbild zur Lösung ist jedoch der American Way of Selection, wie mir von allen Gesprächspartnern angesichts eines Studienaufenthalts bestätigt wurde. Die Selektion erfolgt dort hauptsächlich über den Besuch der "richtigen", also teuren Bildungseinrichtung. Diese Selektion erfolgt nicht erst bei der Wahl der Universität, sondern bereits bei der Grundschule. Es ist gang und gäbe, dass Familien ihren Wohnort wechseln, um ihre Kinder an einer leistbaren und doch guten Schule unter zu bringen. Der große Rest hat es halt bei der Verfolgung ihres "pursuit of happiness" nicht ganz so leicht - ganz zu schweigen davon, wie frustrierend und verschwenderisch erst diese Art der Bildungsselektion ist.
Gerade ein kleines Land wie Österreich darf nicht aufhören, in die Bildung seiner Bürger und Bürgerinnen auf chancengerechte Weise zu investieren.
Franz-Josef Lackinger ist Leiter des Referats Bildung, Freizeit, Kultur im ÖGB und Mitglied des SPÖ-Bildungsausschusses.