ModeratorIn: DerStandard.at begrüßt die beiden Gäste Gerhard Flenreiss und Martin Rümmele und wünscht eine spannende Diskussion.

Flenreiss, Rümmele: Rümmele: Danke für die Einladung und herzlich willkommen. Wir sind schon gespannt auf Ihre Fragen. Flenreiss: Diskussionsstoff bietet das Gesundheitswesen ja mehr als genug.

ModeratorIn: Heute wäre Ärztestreik gewesen. Statt dessen gibt es einen Informationstag der auf die "Gefahr der Verstaatlichung des Gesundheitssystems" aufmerksam machen sollen. Welche Gefahren sind das?

Flenreiss, Rümmele: Flenreiss: Wir sehen etwas andere Gefahren als die Ärztekammer. Rümmele: Die aktuellen Entwicklungen und Reformen sahen vor, die Ärzte und andere Anbieter im Gesundheitsbereich stärker zu kontrollieren und die Leistungen zu regulieren. Davor fürchtet sich die Ärztekammer naturgemäß.

Userfrage per Mail: Warum sind für private Anbieter Spitäler ein Geschäft, während sie für den Staat nicht finanzierbar sind?

Flenreiss, Rümmele: Rümmele: Es gibt im öffentlichen Bereich sehr viele Ineffizienzen. Der Grund liegt darin, dass die Spitäler für die öffentliche Hand mehr sind als nur Gesundheitseinrichtungen - sie sind Vehikel für die regionale Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik... All das macht die Spitäler teuer und ist eigentlich nicht ihre Aufgabe. Die privaten ersparen sich das und können deshalb auch günstiger und gewinnbringender arbeiten.

hillfried: Als Beschäftigter im Gesundheitswesen hört man immer nur, dass das Personal zu teuer ist und da gespart werden soll. Gleichzeitig macht die Pharmaindustrie Milliardengewinne. Wie passt das zusammen?

Flenreiss, Rümmele: Flenreiss: Natürlich sind zw. 60 und 70% der Kosten Personalkosten. Deswegen ist natürlich immer der erste Gedanke beim Sparen der größte Posten. In Wirklichkeit sind die Gehälter im Gesundheitswesen, mit Ausnahme von einzelnen Berufsgruppen, eher unter dem Durchschnitt. Viel mehr sollte man sich damit beschäftigen wie die Kosten durch Burn out zu verringern wären. Rümmele: Die Frage impliziert, dass das Gesundheitswesen generell zu teuer ist. Stimmt so nicht. Die Gesundheitsausgaben liegen in den vergangenen Jahren konstant bei knapp 10% des BIP.

Florian Wirth: Wie argumentieren Sie, dass es für jeden Beruf, Bundesland,.. eine eigene SV-Anstalt gibt. Österreich könnte durch eine zentralisierte Lösung nicht nur Kosten einsparen sondern auch die finanziellen Mitteln verteilen. Eine Versicherungsanstalt bzw.

Flenreiss, Rümmele: Flenreiss: Wir argumentieren das gar nicht, wir sind ganz Ihrer Meinung.

Enduser: Wir erlauben LKW Fahrern nur eine maximale Arbeitszeit, warum gilt diese für Mediziner nicht - obwohl wir diese nicht nur Auto fahren sondern an uns herumschnipseln lassen - Mediziner sollten doch wissen, das dies weder für ihre Gesundheit noch für

Flenreiss, Rümmele: Flenreiss: Auch das ist ein Umstand den wir in unserem Buch kritisch hinterfragen. Aus Sicht des Personalisten inakzeptabel und bei gutem Willen auch nicht notwendig. Dazu wären allerdings einige Änderungen im System notwendig, u.a. bei der Entlohnung (Nachtdienste, Wochenenddienste). Rümmele: Das Problem ist tatsächlich enorm. 36 Stunden am Stück sind keine Seltenheit. Eine US-Studie kommt zum Ergebnis, dass sich 24 Stunden Schlaflosigkeit so auswirken wie ein Blutalkoholspiegel von 1 Promille.

Userfrage per Mail: Inwieweit entscheidet die Politik welchen Weg das Gesundheitswesen einschlagen wird?

Flenreiss, Rümmele: Rümmele: Sehr stark, vor allem die Länder. Wie bereits gesagt werden gerade Krankenhäuser die ja große Arbeitgeber sind für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen missbraucht. Flenreiss: Interessant wird zu beobachten sein wie sich der private Anbietermarkt entwickeln wird, denn daraus wird ein Veränderungsdruck für die Politik entstehen.

Florian Wirth: Ohne jetzt anmaßend zu klingen. Der Staat könnte diese Kosten, die sie gerade angesprochen haben sehr wohl decken. Das Hauptproblem ist m.E., dass Ärzte anstatt gezielt auf die Freigabe natureller Mittel, auf Chemie zurückgreift. Dadurch entstehen n

Flenreiss, Rümmele: Rümmele: Die Kosten sind zu decken. Das Geld für Gesundheitsausgaben wird ja nicht auf den Mond geschossen, sondern hilft den Menschen und der Wirtschaft. Das Problem spricht die grundsätzliche Organisation an: der Nachfrager von Leistungen ist nicht der Patient sondern der Arzt. Beide müssen es aber nicht zahlen - das macht die öffentliche Hand. Flenreiss: Es ist nicht eine Frage des Gesamtvolumens, sondern es geht um den gezielten Mitteleinsatz. So wie es in der Privatwirtschaft ist.

Florian Wirth: Wenn das Gesundheitssystem bzw. die Spitäler privatisiert werden würden, wie kann man sicherstellen, dass jeder die gleiche Behandlung bekommt bzw. dass diese für jeden leistbar ist? Denn aus unternehmenstechn. Sicht habe ich nur zwei Möglichkeiten:

Flenreiss, Rümmele: Flenreiss: Erstens ist der Patient kein Kunde, weil in seiner spezifischen Situation hat er weder Wahlmöglichkeit mangels Wissen noch Entscheidungsbefugnis mangels wirtschaftlichen Einflusses. Er ist vor allem Bedürftiger. Es gibt auch jetzt schon private Krankenhäuser öffentlichen Rechts, z.B. Ordenspitäler, die vom Staat mit einem allgemeinen Versorgungsauftrag ausgestattet sind. Rümmele: Die Schwierigkeit liegt vor allem in der Kontrolle und oft wird übersehen, dass diese ja auch Geld kostet. Kalkuliert man das mit ein wird es vielleicht gar nicht billiger.

Rafaela: warum fürchten sich die ärzte vor ambulanten versorgungszentren?

Flenreiss, Rümmele: Flenreiss: Weil dadurch mehr Wettbewerb und ein etwas freierer Markt entstehen würde. Rümmele: Es fürchten sich ja auch nicht alle Ärzte davor. Einige würden gerne mit anderen Ärzten in solchen Zentren zusammenarbeiten. Die Furcht anderer Ärzte ist, dass sie so gezwungen werden ihre Einzelordinationen länger offen halten zu müssen oder sie verlieren ihre Patienten an die Ambulanzen.

Userfrage per Mail: „Medizin vom Fließband“ klingt nach schlechter Unterversorgung. Liegt unsere Zukunft in der Klassenmedizin?

Flenreiss, Rümmele: Rümmele: Die Gegenwart liegt in der Klassenmedizin. Das wird in Zukunft noch stärker. Schon jetzt bringen Zusatzversicherungen oder persönliche Kontakte einen schnelleren Zugang zu Gesundheitsleistungen. Flenreiss: Der Titel soll viel mehr signalisieren, dass durch professionelleres Management mehr Effizienz ins System kommen wird. Nicht unbedingt zum Nachteil der Patienten.

recarra: Ist es denkbar, dass man in Zukunft zwischen der staatlichen Krankenversicherung und einer privaten wählen kann, anstatt die private nur als Zusatzversicherung zu nehmen?

Flenreiss, Rümmele: Rümmele: Nein, die Beispiele in Deutschland und der Schweiz wo das möglich ist, haben allen Verantwortlichen gezeigt, dass ein solches System die Beiträge stark erhöht, weil unter anderem auch Marketingkosten finanziert werden müssen. Es gibt deshalb auch niemand politisch verantwortlichen mehr der das ernsthaft fordert.

Userfrage per Mail: Haben sie persönlich eine Zusatzversicherung abgeschlossen?

Flenreiss, Rümmele: Flenreiss: Ja. Rümmele: Nein.

vale vale: Man hört derzeit immer wieder, dass die Ausgaben im Gesundheitswesen explodieren und die Krankenkassen sparen müssen. Wissen Sie Wege, wie man aus der Spar-Spirale herausfinden könnte?

Flenreiss, Rümmele: Rümmele: Die Ausgaben explodieren nicht, siehe oben. Flenreiss: Würde man die Gesundheitsausgaben auch als Wirtschaftsfaktor sehen und nicht nur als unproduktive Ausgaben, könnte man sogar die Forderung erheben mehr Geld für den Bereich zur Verfügung zu stellen. Rümmele: Man kann allerdings das System besser gestalten und damit Mittel frei machen für bessere und zusätzliche Angebote.

AMP: Wie stehen Sie zu der Tatsache, dass nun in vielen Bundesländern die Krankenhäuser zu Holdings o.ä. zusammengefasst werden? Wo sehen Sie Vor-/ Nachteile?

Flenreiss, Rümmele: Flenreiss: Die Vorteile liegen klar auf der Hand, dass durch Standardisierung der Prozesse nicht nur eine Kosteneffizienz sondern auch Qualitätssteigerung erreicht werden kann. Zentrale Dienstleistungen wie z. B: Einkauf, Personalmanagement und ähnliches können so kostengünstiger erbracht werden. Auch für die strategische Führung eines solchen doch sehr großen Unternehmens ist die Holdingkonstruktion von Vorteil. Erstmal ist so auch professionelle Personalentwicklung möglich. Rümmele: Die Gefahr besteht, dass erst wieder nur von der Zentrale versucht wird zu sparen. Außerdem besteht mittelfristig die Gefahr der Privatisierung oder Teilprivatisierung wie wir sie in der Energieversorgung gesehen haben. Wenn heute ein internationaler Klinikkonzern einen Landeshauptmann 3. Mrd. für 25% an einer Holding bietet wird kaum einer nein sagen.

1b44f450-09dd-4aad-92fa-8cd653112114: Fridl: Ich weiß, die Frage kommt nicht gerade aus der obersten Schublade, interessieren tuts mich trotzdem: Wie kommt es, dass Ärzte, die in der Hierarchie ganz oben stehen, sehr gut verdienen und Mediziner, die ihr Studium gerade abgeschlossen habe

Flenreiss, Rümmele: Rümmele: Zur letzten Frage: Der Druck der Ärztekammer ist wie wir gerade gesehen haben sehr groß. Flenreiss: Zur Hierarchie: Das ist eine historisch gewachsene Struktur, die von den Systemerhaltern wehement verteidigt wird. Rümmele: Auch nicht gerade feine Antwort: Die jungen Ärzte werden möglichst lange vom Futtertrog ferngehalten damit sie wenn sie richtig hungrig sind das System nicht mehr ändern, sondern nur mehr fressen wollen.

Userfrage per Mail: Heute wird im Parlament die „Pflegeamnestie“ diskutiert - Wie beurteilen Sie die Pflegedebatte?

Flenreiss, Rümmele: Rümmele: Durch die jetzige Regelung wird das Problem nicht gelöst. Die Verlängerung der Amnestie ist ein Armutszeugnis. Es wird einfach der bestehende graue Markt weiter fortgeschrieben. Wichtig wäre alle Finanzmittel im Bereich der Pflege in einem Topf zu bündeln, dann wäre genug Geld da. Flenreiss: Für alle Betroffenen ist eine Förderung von max. 800 Euro unzureichend, selbst bei billigeren selbstständigen Anbietern ist ein Förderbetrag von knapp über 200 Euro völlig unzureichend. Ebenfalls ungenügend ist die Gewerbeberechtigung der neu geschaffenen Personenbetreuer, denn diese dürften nicht einmal ein Pflaster wechseln.

Florian Wirth: Wie sehen Sie den zusammenhang zwischen Gesundheitssystem und Bildungssytem? Ein Beispiel: Je früher Kinder in der Schule etwas über Ernährung lernen, desto eher kann man Folgeerkrankungen falscher Ernährung vorbeugen.

Flenreiss, Rümmele: Flenreiss: In aller Kürze, Sie haben völlig recht. Nicht nur die Ernährung sondern auch Sport im unterricht müssten mehr Platz finden. Bewusstseinsschaffung als Ergänzung zur Wissensvermittlung ist ein Grundproblem in unserem Bildungssystem. Rümmele: Das Problem liegt leider noch tiefer: Bildung korreliert mit Einkommen und Berufschancen. Menschen mit niedriger Bildung und niedrigem Einkommen haben auch schlechtere gesundheitliche Voraussetzungen, Beispiel: in den Wiener Bezirken 1 und 19 liegt die Lebenserwartung um bis zu 10 Jahre höher als in den Bezirken 10 und 15.

rechtschreipfehler: wer von ihnen beiden hat je in einem öffentlichen krankenhaus als bediensteter gearbeitet? und wenn, wie lange und als was?

Flenreiss, Rümmele: Flenreiss: Keiner. Ich bin jetzt als Personalist für Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen tätig. Rümmele: Das was mir Bekannte und Familienmitglieder die im Gesundheitsbereich arbeiten erzählen ist für mich eine gute Informationsquelle.

Userfrage per Mail: Welches Zukunftsszenario halten Sie für realistisch?

Flenreiss, Rümmele: Rümmele: Nachzulesen im Buch ab Seite 120 bis 220 ;-)

Onkel Doktor: Guten Tag die Herren! Das mit dem Fernhalten und Hunger erzeugen bei jungen Kolleginnen und Kollegen mag da und dort zutreffen: andererseits ist es ja so, daß man zur Einrichtung einer Praxis sagen wir in Radiologie SEHR viel Geld in die Hand nehmen

Flenreiss, Rümmele: Rümmele: Das ist richtig, deshalb versuchen gerade im Bereich teurer Investitionen sich die Ärzte auch zusammenzuschließen. Das wird in Zukunft noch deutlich zunehmen. Es werden so niedergelassene Ketten in den einzelnen Bereich wie Radiologie oder Labor entstehen. Im Laborbereich gibt es dazu schon erste Beispiele.

1b44f450-09dd-4aad-92fa-8cd653112114: Kennen Sie Länder, wo das Gsundheitssystem, was die *Leistung* betrifft, mit Österreich vergleichbar ist und dennoch effizient arbeitet? Was genau können wir denen abschauen?

Flenreiss, Rümmele: Rümmele: Es gibt in vielen Ländern einzelne Dinge die man sich abschauen könnte. Das spannendste Beispiel sind die Skandinavier, die nicht nur auf den kurativen Bereich setzen sondern schon viel früher ansetzen damit Krankheiten gar nicht entstehen. Das erste Ziel der Gesundheitspolitik in Schweden ist etwa der Abbau sozialer Ungleichheit.

Wolfgang Fink: Kann das Gesundheitssytem in Zukunft die überalternde Gesellschaft weiterin versorgen?

Flenreiss, Rümmele: Rümmele: Ja. Durch die steigende Lebenserwartung gewinnen wir ja auch gesunde Jahre und das spart Kosten. Die höchsten Ausgaben fallen immer erst in den letzten Lebensmonaten und -wochen an. Flenreiss: Wir haben keine Wahl als mit der überalterten Gesellschaft auseinanderzusetzen und Lösungen zu finden. Ich bin überzeugt davon, dass sich zu den bestehenden Strukturen eine Vielzahl an zusätzliche als auch privaten Initiativen Lösungen und Angebote entstehen werden, die auch leistbar sein werden und sei es auch als grauer Markt.

ModeratorIn: Vielen Dank für die vielen Fragen unserer UserInnen und den spannenden Antworten der Autoren, wir wünschen allen noch einen schönen Tag.

Flenreiss, Rümmele: Herzlichen Dank für das rege Interesse und die doch sehr fundierten und spannenden Fragen.