Wien - "Wir haben damals alle mehr als 72 Wochenstunden gearbeitet", bekennt der zweite Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, Harald Mayer. Allerdings: Zu der Zeit, als der Schärdinger Unfallchirurg und Spitalsärztevertreter seine Ausbildung absolviert hat, war das auch noch nicht verboten. Es fehlte nämlich jede gesetzliche Regelung, die Höchstarbeitszeitgrenze für Ärzte betreffend.
Heute gibt es ein Gesetz. Nur wird das nicht eingehalten. Die Regelung im Detail: Laut Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetz darf die durchschnittliche Wochenstundenhöchstzahl für Ärzte nicht größer als 48 sein, wobei in einzelnen Wochen nicht mehr als 60 Arbeitsstunden anfallen dürfen. Auch die Tageshöchststundenanzahl ist reglementiert: Pro Tag darf maximal 13 Stunden gearbeitet werden.
De facto gilt in beinahe allen Spitälern Österreichs jedoch die etwas lockerer gehandhabte Stufe zwei des Krankenanstaltengesetzes. Demnach kann mit Zustimmung des Ärztevertreters eine Betriebsvereinbarung mit folgenden Arbeitszeithöchstgrenzen eingeführt werden: Durchschnittlich darf maximal 60 Stunden pro Woche gearbeitet werden, allerdings höchstens 72 Stunden in einzelnen Wochen. Und bei einer maximalen Dienstdauer von 32 Stunden wochentags, beziehungsweise 49 an Wochenenden und Feiertagen. Je nach Dienstintensität beinhalten diese Arbeitszeiten auch Ruhephasen in den spitalseigenen Dienstzimmern.
Das Problem: Ganze sieben von zehn Spitälern halten sich - zumindest in einzelnen Abteilungen - nicht an diese gesetzlichen Vorgaben, wie Schwerpunktaktionen des Arbeitsinspektorates zeigen. Das Wiener AKH verfügt etwa nicht einmal über die Möglichkeit, Überstunden, die über die Regelarbeitszeit hinausgehen, im Online-Dienstplan einzutragen.
Lukas Stärker beschäftigt sich seit rund zehn Jahren mit dem Ärztearbeitszeitgesetz und dessen Nichteinhaltung. Der stellvertretende Kammeramtsdirektor der Ärztekammer weiß um die Problematik der Umsetzung der bestehenden Regelung. Einerseits "sparen die Länder natürlich massiv Geld damit, wenn sie das Arbeitszeitgesetz systematisch überschreiten". Immerhin sind die Personalkosten der größte Ausgabeposten eines Spitalsbudgets.
Strafen ohne Folge
Hinzu komme "das Fehlen von Strafsanktionen im öffentlichen Dienst". Theoretisch gibt es diese zwar in Form von Anzeigen gegen die Landesregierung. Aber in der Realität "ist das wirkungslos - und Geldstrafen sind hier unverständlicherweise nicht vorgesehen." Stärker greift zu einem PS-starken Vergleich: "Das ist, als würde ein rotes und ein blaues Auto mit 170 km/h auf der Autobahn fahren - also deutlich zu schnell. Die Polizei hält beide auf, erteilt dem roten Autofahrer ein Strafmandat, und der bezahlt. Der blaue Autofahrer sagt hingegen zum Polizisten, er solle das Strafmandat ruhig ausstellen, braust aber mit 170 km/h weiter, weil er ja weiß, dass die Sache folgenlos bleibt."
Ein Zustand, den man jetzt in Verhandlungen mit dem Wirtschaftsministerium ändern will. Die Ärztekammer fordert, dass künftig auch die Geschäftsführer der ausgegliederten Krankenanstaltenbetreiber im Falle einer Überschreitung der Arbeitszeitgrenze belangt werden können. Und zwar erheblich: "Das kann bis in die Höhe von mehreren 100.000 Euro gehen." Mit dem erhofften Resultat, dass Investitionen in die Personalausstattung letztlich billiger kommen als der permanente Gesetzesbruch.
Die Verhandlungen sind im Gang. Immerhin hat man sich die Neuordnung des Ärztearbeitszeitgesetzes auch im Regierungsprogramm verordnet. Woran Stärker große Erwartungen knüpft. Derzeit relativieren sich durch die bestehende Regelung für ihn nämlich viele Qualitätsmaßnahmen: "Ausgeruhtes, arbeitsfähiges Personal wäre wohl die einfachste, effektivste und effizienteste Maßnahme, um die Qualität im ärztlichen Bereich zu sichern."
Mehrarbeit bringt Geld