Foto: We Are Free
Spätestens seit dem Auftauchen von Musik dezidiert als globalistischen Pop deutenden Acts wie MIA, Beirut, Damon Albarn und Gorillaz oder dem letzten Blur-Album "Think Tank", Gogol Bordello, Manu Chao oder Shantel hat endlich auch wieder der historisch schwer belastete Begriff der Weltmusik einiges an Schrecken verloren. Wo in der Vergangenheit meist postkolonialistische Vereinnahmung betrieben wurde und Musiken aus der Dritten Welt gefällig mit westlichen Harmonien und Gesängen angereichert und somit für ein breiteres Publikum verträglich gestaltet wurden, herrscht in Zeiten von Google und Musik aus dem Internet längst ein selbstverständlicher - und beidseitiger - Austausch von Stilen und Inspirationen.

So wie man heute (westlichen) Gangsterrap auch aus Mali oder Ghana haben kann, der britische Dubstep und Grime, interessanterweise aber auch der derbe elektronische Dancefloorstil der brasilianischen Deutung von US-HipHop und Funk (Bailé Funk) längst auch im Kongo Fuß gefasst haben (siehe etwa die fantastische afrikanische Crew Buraka Som Sistema), so ist andererseits auch für "westliche" Musiker mittlerweile jenseits bloßer Ausbeutungspraxen eines selbstverständlich: Man holt sich aus dem Internet, was erforderlich ist, und adaptiert es, ohne billig und schnell etwas vereinnahmen und plagiieren zu wollen.

Das Debütalbum "All Hour Cymbals" (We Are Free/Import) des multikulturellen, in Brooklyn, New York, ansässigen Quartetts Yeasayer ist für diese Entwicklung hin zu einem neuen Anything-Goes ein Paradebeispiel. Neben gegenwärtig ebenfalls wieder einmal alte Rock- und Popstrukturen sprengen wollenden Nachbarn wie Animal Collective, Black Dice, Gang Gang Dance oder TV On The Radio vertraut auch dieses multi-ethnische Kollektiv weniger auf die gefällige Nachstellung tribalistischer Einflüsse aus (im konkreten Fall meist afrikanischer, arabischer und indischer Kulturen). Wenn man so will: Hier wird in jetzt vorliegenden elf ersten Stücken vielmehr versucht, ein möglicherweise nicht immer stimmiges, aber beherzt futuristisches Weltkultur-Hybrid zu schaffen.

New York, nach wie vor die Weltmetropole diverser Culture Clashes, hat dabei eine große, vor allem im Postpunk der späten 70er- und frühen 80er-Jahre verankerte musikalische Tradition vorzuweisen. Immerhin versuchten damals neben heute vergessenen Bands wie Liquid Liquid oder Bush Tetras allen voran die Talking Heads sowie deren Mastermind David Byrne in Zusammenarbeit mit dem britischen Produzenten Brian Eno auf Alben wie "Fear Of Music, Remain In Light" und vor allem "My Life In The Bush Of Ghosts" noch heute modern klingende Zusammenführungen im Weltmusiktopf zu betreiben; mit Found-Footage-Tapes und modernster Studiotechnik Richtung Pop. Eine damals zukunftsweisende, allerdings bald wieder untergegangene Technik, die erst heute, gut ein Vierteljahrhundert später, wieder als künstlerische Option zu greifen scheint.

Yeasayer um deren Frontmann Anand Wilder begeistern sich dabei neben hymnischem, spirituellem Chorgesang, der den Beach Boys oder alten Doo-Wop-Ensembles genauso viel verdankt wie afrikanischen spirituellen Gesängen, vorwiegend für westafrikanische Polyrhythmen. Kombiniert wird dies mit sanftmütiger, menschenfreundlicher Psychedelik. Sie mischen flirrende Synthesizer und Handclap-Effekte mit Falsettvortrag, hymnischen Melodien, wuchtigen Pianoakkorden und jamaikanischer Dubtechnik - wie auch manchmal eine Spaghetti-Western-Gitarre ihre kernigen Twangs verbreitet. Und Yeassayer bleiben dabei immer entschieden dem geliebten Format des Popsongs verhaftet.

Mit beseelten und von griechischen Göttern und alten Mythen, aber auch einstürzenden Häusern handelnden Herzblut-Songs kratzen Yeasayer dabei zwar oft gerade noch die Kurve vor Ethnokitsch Marke König der Löwen. Aber: Was für ein visionärer Wurf! (Christian Schachinger / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.11.2007)