Lehnstuhl "Bergere"

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Hocker "Pumpkin"

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Einarmiger "One-Armed"

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Stehleuchte "King"

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Stehleuchte "Tulip"

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Von einem Schlitten inspirierter Sessel "Sledge"

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"Kahve Chair"

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Gestalterduo Seyhan Özdemir und Sefer Çaglar

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"Als Kinder bauten wir uns Schlitten, weil sich Istanbul mit steilen Straßen über viele Hügeln ausbreitet. Die Erinnerung daran haben wir mit 'Sledge' in eine Form gegossen", erzählt Seyhan Özdemir, weiblicher Part des türkischen Designlabels Autoban über das Lounge-Möbel. Ein kufenartiger Unterbau aus Holz, dazu lederbezogene Sitzflächen - leicht und schlicht der Schlitten, nachvollziehbar in seiner Geschichte. Seine Formensprache erzählt vom Verhältnis von Kurven zu Geraden. Und von einer gefinkelten Mischung aus Déjà-vu und einem ganz eigenen Style.

Eine Mischung, die auch das französisch angehauchte Istanbuler Altstadtviertel Galata atmet. Hier im Bohème-Quartier eröffnete das Erfolgsduo Autoban Ende 2006 den ersten Showroom. Das Logo neben der Eingangstür ist dem hiesigen Autobahnschild abgeschaut (schwarze Fahrbahn auf weißem Grund). Inmitten der Altstadt wirkt das exotisch und irritierend - vielleicht ein Sinnbild für die Querverbindungen des Duos. Als "Quirky touch", beschreibt Seyhan Özdemir diese Prise Eigensinn, und behält dabei die locker im Showroom verteilten Entwürfe im Augenwinkel. Um anschließend die Philosophie des Labels zu erklären: "Autoban steht für Speed. Wir haben einen Namen gesucht, der international klingt", erklärt die gelernte Architektin. "Wir schreiben uns ohne 'h', weil das der türkischen Schreibweise ,Otoban' näher kommt. Und außerdem ist das Leben doch durchaus mit einer Autobahn vergleichbar, du bist schnell unterwegs und musst an den richtigen Punkten die richtigen Entscheidungen treffen", sagt sie.

Architektur und Design

Wie schnell das Duo die Abzweigung Richtung großer weiter Designwelt erreichen würde, konnte das Duo zu Beginn nicht absehen. "Ich werde oft nach unserem offiziellen Durchbruch gefragt. Einfach gesagt, der wichtigste Schritt war erst einmal, zusammen mit Sefer Çaglar 2003 das Label zu gründen", sagt die Designerin. Ihren Fokus legen Özdemir und der ausgebildete Innenarchitekt Sefer auf Innenraumkonzepte für Wohnbauten, Shops, Restaurants und Cafés wie zum Beispiel die ortsansässige "House Café"-Kette. Die dafür nötigen Möbel, Lampen und Accessoires entwirft das Duo gleich mit. "Architektur und Design geben sich in unseren Projekten häufig die buchstäbliche Klinke in die Hand", erklärt Sefer Çaglar.

"Wir haben ein Faible für sehr rohe Materialien wie Holz, Blech, Glas und Eisen", erzählt Seyhan weiter. Aus diesen traditionellen Werkstoffen entwickelt das Duo Elemente des täglichen Lebens, die oft auf eigenen Emotionen oder Kindheitserinnerungen wie dem erwähnten Schlitten beruhen, und greift bei der Fertigung auf lokale Handwerkstechniken zurück. Das Ergebnis sind Objekte mit einem starken Charakter, die sich nicht für die industrielle Massenfertigung eignen. Der "Geschichten-Faktor" gilt als Markenzeichen von Autoban, ebenso wie die Eigenart, Altes und Neues in ihren Designmixer zu stecken, um sodann mit Klischees und Dingen des Alltags zu spielen. Als einer der ersten westlichen Trendleuchttürme honorierte das englische Magazin Wallpaper das Mischverhältnis. Bereits ein Jahr nach der Gründung bekamen Autoban den "Best Young Design Award" 2004 verliehen. Das bedeutete den Wechsel auf die Überholspur der internationalen Designszene, ohne dabei den Grip zu verlieren. Autoban behielten ihr Tempo und ihre Fahrtrichtung dabei. Globale Tendenzen ließ man links liegen.

"Best New Restaurant"-Award

"Alles ändert sich hier mit Vollgas, die Politik, die Wirtschaft - und auch das Design", sagt die Designerin, die Geschwindigkeit zum Programm erklärt hat. Im Kontrast dazu steht die Erdung ihrer Entwürfe. Diese kommt nicht nur in heimischen Kreisen gut an: Für das Museumsrestaurant "Müzedechanga" im Istanbuler Stadtteil Emirgan gewann Autoban 2006 einen weiteren Wallpaper-Preis, den "Best New Restaurant"-Award. "Die starke gestalterische Identität, die aus den Einzelentwürfen ebenso wie aus dem Gesamtbild spricht, hat überzeugt", argumentierte die Jury. Tische, Stühle sowie ein von geometrischen Formen inspirierter Raumteiler aus Holz erzeugen hier eine warme, fast skandinavisch angehauchte Stimmung, die einen Gegensatz zum neutralen Museumsgebäude bildet. Oft sind es die bestehenden Strukturen eines Gebäudes oder einer Wohnung, die den Reiz ihrer Arbeit erhöhen und um die das kreative Duo eigene Objektwelten spinnt.

"Die Geschichten, die wir mit unseren Konzepten erzählen, sind auf den ersten Blick vielleicht nicht revolutionär neu, aber in dieser Form nicht dagewesen", fasst Sefer zusammen. Ein Hinweis auch auf die Lampenserie "Tulip", die formal an die osmanische Tradition der Tulpe erinnert und dieses Objekt überraschend einfach zu übersetzen vermag: Auf einem Stängel aus eisernen Stäben ruht ein Lampenschirm, in dessen Linienführung ein klitzekleiner Sixties-Touch mitschwingt. Da ist es also wieder, das bisschen Déjà-vu-Gefühl. Und genau darin liegt der vermutlich wichtigste Erfolgsfaktor der Entwürfe: bekannte Formen mit einem eigenen Akzent zu zitieren, der zu clever ist, um in vordergründig dekorative Folklore zu verfallen. So greift das Duo selbstbewusst auf die eigenen Wurzeln zurück und setzt einer international zu findenden Schar austauschbarer Designmutanten ein klares Profil gegenüber.

Rraditioneller Kaffeehausstuhl

Den Lehnstuhl "Bergere" zählt Autoban zu einem der wichtigsten Entwürfe, der Omas klassischen Lehnstuhl auf sehr smarte Art neu interpretiert. Nach gleicher Manier entstaubte Autoban den traditionell türkischen Kaffeehausstuhl namens "Kahve chair", der seinen Ursprung zu erkennen gibt, ohne auf die allzu coole Schiene zu geraten. Ein anderes Beispiel ist der asymmetrische "One-Armed"-Chair aus Walnuss- und Eichenholz, der mit nur einem Arm auskommt und zum einarmigen Banditen der Möbelwelt wird, indem er damit das Regelbuch der traditionellen Möbelgestaltung gar nicht erst aufschlägt. Irgendwo zwischen Turban und Kürbis liegt die Musenkussquelle für den stählernen Coffeetable "Pumpkin", der Zeitungen in seinem Inneren verstauen lässt. Die Stehleuchte "King" kreuzt frech Fifties-Design mit barocken Formen, ihr mit Bäuchlein versehener Stamm verweist auf die markanten Rundungen geschnitzter Schachfiguren, worauf schon der Namen hinweisen dürfte.

Inzwischen beschäftigen Özdemir und Çaglar insgesamt 20 Mitarbeiter in der Istanbuler Innenstadt. In der Heimat gelten die beiden 1975 geborenen Absolventen der örtlichen Mimar Sinan University als Vorbild und erfolgreichste Designer ihrer Generation. Wie sich das anfühlt? "Keine Ahnung", antwortet Seyhan Özdemir, "ich fühl mich nicht größer als früher. Ab und zu kommen Freunde und bringen ausgerissene Zeitungsartikel über uns mit. Die häufen sich", stellt sie fest. Eine Anspielung mit Understatement, denn die mediale Resonanz gleicht einem Rauschen im internationalen Blätterwald. "Ich glaube nicht an PR-Strategien", stellt Seyhan fest. "Das Design sollte mächtig und aussagekräftig sein, nicht das Darüber-Reden."

Eigener Reiz am Design

Ob sie woanders leben könnten, wie einige der türkischen Designer aus erster Generation, die inzwischen in New York oder Mailand ansässig sind? "Wir finden schon viel Inspiration auf der Straße, unterwegs zwischen London, New York oder Istanbul. Oder einfach, indem wir Menschen beobachten. Aber wir könnten die Verbindung zu unserer Stadt niemals wirklich aufgeben", lautet die Antwort. Natürlich haben die beiden auch die Arbeit westlicher Designer im Auge: "Patricia Urquiola, Jurgen Bey oder Jasper Morrison finden wir sehr gut. Und ganz besonders Ingo Maurer. - I love him", schwärmt Özdemir, die inzwischen selbst Anfragen aus der ganzen Welt erhält, vor allem aus Frankreich, England, Deutschland und den USA. So bleibt die Vereinnahmung durch das Getriebe des internationalen Designbusiness auch die einzige Befürchtung, dass dem stärksten Gefährt der türkischen Designszene irgendwann der Treibstoff ausgeht und es auf dem Pannenstreifen landet, doch bei Autoban gelten ganz eigene Verkehrsregeln: "Auch wenn wir in Zukunft größere, internationale Projekte planen, wir wollen uns unsere Ruhe, unseren eigenen Reiz am Design erhalten." (Franziska Horn/Der Standard/rondo/09/11/2007)