Istanbul - Mit der angekündigten Reform des von der EU kritisierten "Türkentum"-Paragrafen 301 will die türkische Regierung die Zahl der Prozesse gegen Intellektuelle und Andersdenkende senken. Deshalb solle künftig die Eröffnung von Strafverfahren nach Paragraf 301 von einer Zustimmung des Justizministeriums abhängig gemacht werden, meldete die Zeitung "Milliyet" am Donnerstag.

Diese Zustimmungsklausel war im Rahmen der türkischen Strafrechtsreform vor drei Jahren gestrichen worden, um die Unabhängigkeit der Justiz zu stärken. Damit die Zahl der Verfahren nach dem Paragrafen 301 gesenkt werden kann, solle die Regelung nun aber wieder eingeführt werden, berichtete "Milliyet". Das Kabinett soll die Novelle in Kürze auf den Weg bringen.

Mehrere Minister der Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatten nach der im jüngsten EU-Fortschrittsbericht erneuerten Kritik an dem Paragrafen 301 eine baldige Überarbeitung des Gesetzes angekündigt. Auch Staatspräsident Abdullah Gül sagte nach Zeitungsberichten, es gebe den politischen Willen für eine Änderung: In seiner jetzigen Fassung sei der Paragraf schlecht für das Image der Türkei.

Das Gesetz verbietet die "Beleidigung des Türkentums" und war in den vergangenen Jahren von Nationalisten und gleichgesinnten Staatsanwälten und Richtern als Basis für Prozesse gegen Intellektuelle wie den Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk benutzt worden.

"Türkentum"-Paragraph

Noch ist offen, welche Form der Paragraf künftig haben soll. Im Gespräch ist nach Presseberichten unter anderem, den vagen Begriff "Türkentum" im Gesetzestext durch "türkische Nation" zu ersetzen. Zudem wird erwogen, in der Begründung für das Gesetz ausdrücklich darauf zu verweisen, dass sich die Anwendung an der Rechtsprechung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs und an der Europäischen Menschenrechtskonvention zu orientieren hat.

Damit würde Ankara ein Hauptproblem beim Umgang mit der Meinungsfreiheit lösen: Nicht so sehr der Text von Gesetzen wie dem Paragrafen 301 schränkte bisher die Meinungsfreiheit in dem EU-Bewerberland ein, sondern die restriktive Auslegung der Gesetze durch die Gerichte.

(APA)