Zur Person
Fatima Bhutto ist die Tochter des 1996 ermordeten Politikers Murtaza Bhutto, des Bruders der ehemaligen pakistanischen Premierministerin Benazir Bhutto. Fatima Bhutto lebt als Schriftstellerin und Kolumnistin für die englischsprachige Zeitung The International News in Karachi, im Süden Pakistans. Bereits im Alter von 15 Jahren veröffentlichte sie die Gedichtesammlung "Whispers of the Desert", 2006 erschien ihr Werk über das Erdbeben in Pakistan "8:50 a.m. 8 October 2005".

Foto: Privat/Amean J

Wien – Seit Präsident Musharraf am Samstag den Ausnahmezustand ausgerufen hat, verschärft sich die politische Lage in Pakistan weiter. Für Freitag hat die ehemalige Premierministerin Benazir Bhutto einen "langen Marsch" angekündigt und zu Protesten aufgerufen.

Harsche Kritik an der ehemaligen Premierministerin Bhutto übt indessen deren Nichte Fatima Bhutto. Im derStandard.at-Interview mit Christa Hager, das geführt wurde, kurz bevor Benazir Bhutto unter Hausarrest gestellt wurde, kritisiert sie den Personenkult ihrer Tante und prangert deren Deal mit Präsident Musharraf an. Auch wären die "spontanen" Rückkehrfeiern tausender Anhänger so freiwillig nicht gewesen, sondern von Benazirs Partei organisiert worden.

derStandard.at: Was bedeutet der Ausnahmezustand für die Mehrheit der Bevölkerung?

Bhutto: Es ist bereits der 13. Ausnahmezustand in Pakistan. Im Moment betrifft er im Wesentlichen zwei Gruppen: Zum einen die Medien. Musharraf hat über 20 private Fernsehkanäle geschaffen, die nun geschlossen sind. Zeitungen dürfen über die aktuelle Lage keine Kommentare abgeben, und das neue Mediengesetz besagt, dass nichts Falsches berichtet werden darf, was auch immer das genau heißt. Auch dürfen keine Live-Szenen über aktuelle Konflikte und Gewalt gezeigt werden. Alle Fernsehkanäle sind schwarz, Radiostationen wie BBC senden nicht. Zeitungen werden zwar noch gedruckt, die Redaktionen stehen jedoch unter genauer Beobachtung. Am Montag wurde die Druckerei der Mediengruppe Jang durchsucht und geschlossen, nachdem sie eine Sonderbeilage zum Ausnahmezustand veröffentlichen wollten. Was den Zugang zum Internet betrifft, so kommt es darauf an, wo man ist.

Zum zweiten sind die Anwälte vom Ausnahmezustand betroffen, tausende sind in Haft. Doch das hat sich schon seit langem angekündigt, denn seit dem „Krieg gegen den Terror“ herrscht in großen Teilen des Landes Bürgerkrieg. Die Regierung ist harsch gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen vorgegangen: Zuerst gegen die Armen, dann gegen die Frauen, die Intellektuellen und die Aktivisten. Nun sind die Rechtsanwälte an der Reihe.

derStandard.at: Was können die Wahlen an der derzeitigen Situation ändern?

Bhutto: Der Westen macht so viel Lärm um die Wahlen. Es heißt, Musharraf soll die Uniform ausziehen und Wahlen abhalten. Aber man kann nicht gleichzeitig eine Demokratie und einen Diktator haben.

Sollten die Wahlen im Jänner abgehalten werden, heißt dies, dass die in der Verfassung vorgesehene 90 Tage-Frist für Kampagnen und Organisation nicht eingehalten würde. Nach dem Selbstmordattentat in Islamabad hat Musharraf auch ein Gesetz implementiert, dass man für öffentliche Versammlungen die Polizei zehn Tage zuvor informieren muss. Fänden Wahlen im Jänner statt, stellt sich die Frage: wie viele öffentliche Veranstaltungen kann man innerhalb von 40 Tagen überhaupt abhalten? Natürlich heißt die Kritik an Wahlen im Jänner nicht, dass man überhaupt keine Wahlen abhalten soll. Wir fordern Wahlen, jedoch zu einer angemessenen Zeit, damit genug Raum für die Vorbereitung bleibt.

derStandard.at: Wie kommt man in Pakistan derzeit zu Informationen, nachdem ein Großteil der Medien stillsteht?

Bhutto: Es herrscht in Pakistan große Unsicherheit. Die Infos bestehen meist aus Gerüchten, die via Email, Blogs und SMS verbreitet werden.

derStandard.at: Was ist von der Allianz Musharraf-Bhutto zu erwarten?

Bhutto: Der Deal mit Musharraf hat schwere Auswirkungen. Bhutto profitiert von ihrer Allianz mit dem Diktator. Benazir hat verlangt, dass alle Korruptionsanklagen gegen sie fallen gelassen werden. Damit hat sie das Gesetz umgangen. Auch wenn sie von sich behauptet, eine Demokratin zu sein, ignoriert sie das Recht vollkommen. Denn wenn man einen Diktator um Amnestie bittet, so zeugt dies nicht von einem demokratischen Verständnis.

Das Gesetz zu umgehen, ist sehr gefährlich. Die Demokratiebewegung hat hart daran gearbeitet, dass die Gerichte unabhängig werden. Aber das wird nun durch Benazirs Vorgehen vollkommen torpediert. Denn Musharrafs Erlass der "Nationalen Versöhnung" löscht die Korruptionsvorwürfe gegen alle Politiker der vergangenen 20 Jahren. Das macht es nahezu unmöglich, sie in Zukunft zur Verantwortung zu ziehen. Die Diktatur wird dadurch noch stärker.

derStandard.at: Sie haben im Zusammenhang mit dem Selbstmordanschlag in Islamabad zum Teil sehr harsche Kritik an Ihrer Tante geübt. Können Sie diese präzisieren?

Bhutto: Bei Benazirs Rückkehr nach Pakistan gab es ein sehr großes Theater. Während sich Benazir der Öffentlichkeit präsentierte, saß sie in einem kugelsicheren Auto und war umgeben von Sicherheitskräften. Denn sie wurde zuvor bedroht und gewarnt. Doch die Teilnehmer der Kundgebung waren schutzlos. Zudem spielte der Selbstmordanschlag auch dem Diktator in die Hände. Denn spontane Versammlungen sind nun nicht mehr möglich. Hinzu kommt, dass die Demokratiebewegung vor ihrer Ankunft mit Wahlvorbereitungen beschäftigt war, es wurden Wahllisten und Kandidaten bestimmt. Nun heißt es auf einmal, Wahlen und Kampagnen seien gefährlich.

Benazir präsentiert sich der Außenwelt als Demokratin. Was sie jedoch in ihren zwei Wochen, seit ihrer Rückkehr getan hat, ist, die Demokratie zu beschneiden, indem sie mit dem Diktator koaliert.

Benazir Bhutto bei Ihrer Ankunft aus dem Exil in Karachi

derStandard.at: Wie stehen Sie zu dem von Bhuttos angekündigtem "Langen Marsch" am Freitag? Wird er zu einer breiten Demonstration gegen Musharraf führen?

Bhutto: Nein, sicher nicht. Die Politik in Pakistan ist zu einer Art Zirkus verkommen. Und von den Leuten wird erwartet, dass sie mitspielen. Der "Lange Marsch" wird eine weitere Show von Benazir werden.

Als Benazir am 18. Oktober nach Pakistan zurückkam, waren die Leute nicht spontan und aus eigenem Antrieb zur Veranstaltung gekommen. Benazirs Kampagne basierte auf zwei Prinzipien: Erstens war ihre Rückkehr eine stark beworbene Medienkampagne. Es gab Werbespots in den Medien und Plakate in den Städten. Jeder PPP-Funktionär musste Leute aus dem ganzen Land zusammentrommeln, um die Busse und Taxis zu füllen, die sich nach Karachi brachten. Geschätzte 200.000 Menschen kamen zu ihrer Rückkehrfeier. Der Transport, das Essen, die Unterkunft, das alles wurde von der PPP bezahlt. Die Leute kamen aber nicht aus Eigeninitiative.

Auch der "Lange Marsch" wird keine offene Veranstaltung sein. Es wird genauso sein wie bei ihrer Ankunft: die PPP-Funktionäre werden Leute rekrutieren, Benazir selbst wird wieder vollkommen abgesichert erscheinen – im Gegensatz zu den Teilnehmenden. Diese sind die ersten, die das Tränengas treffen wird, die verhaftet werden, die mit ihrem Leben spielen.

derStandard.at: Woraus besteht die Demokratiebewegung, von der Sie sprechen?

Bhutto: Vor Benazirs Rückkehr und seit der Machtübernahme des Militärs gab es in Pakistan eine wachsende Bewegung, die für die Demokratie kämpft. Der Widerstand kam nicht von der PPP, sondern von unten. Die "Graswurzelbewegung" ist in weiten Teilen des Landes verbreitet. Der Staat lässt immer mehr Aktivisten verschwinden, rund 4.000 bis 10.000 Menschen. Laut Regierung sind es 140. Die Situation hier ist wie in Lateinamerika in den 70ern. Bald werden auch hier die Mütter die Straßen mit den Bildern der Vermissten säumen.

Auf der anderen Seite gibt es Journalisten und Schriftsteller, die gegen die Einschränkung der Freiheit ihre Stimme erheben, Frauen kämpfen gegen die von der Regierung tolerierte Gewalt. Wie zum Beispiel Mukhtar Mai, die wie viele andere Vergewaltigungsopfer Kampagnen durchführt.

derStandard.at: Benazir Bhutto haben Sie auch wegen ihrer Kooperation mit dem Westen kritisiert. Welche Gefahr orten Sie hier?

Bhutto: Die Gefahr des Fundamentalismus in Pakistan. Ein Fundamentalismus, der die Freiheit, der Frauenrechte etc. mit einer westlichen Agenda gleichsetzt. Was Benazir seit ihrer von den USA unterstützten Rückkehr wiederholt: "Fundamentalismus ja. Wir sind eine westliche Bewegung mit einer westlichen Agenda und für die USA."

Das birgt eine enorme Gefahr. Die Menschen in Pakistan sind ebenfalls für Demokratie, für mehr Freiheit, für freie Medien, für Minderheiten- und Frauenrechte. Auch wir können säkular, demokratisch und tolerant sein, aber ohne Bestandteil einer westlichen Agenda zu sein. Wir wollen für diese Rechte kämpfen, jedoch ohne Verbündete der Amerikaner zu sein. Denn diese Rechte werden uns zu Gute kommen. Indem Benazir die Idee der Demokratie für sich vereinnahmt, versetzt sie der Bewegung von unten einen enormen Schlag.

derStandard.at: Fundamentalismus ist jedoch nicht nur auf den Westen zu beziehen, sondern auch auf Islamisten.

Bhutto: Sicherlich. Diese Art des Fundamentalismus hängt Großteils mit der großen Armut in diesem Land zusammen. Egal ob unter Nawaz Sharif oder Musharraf – seit den letzten 20 Jahren ist der Staat unfähig und unwillig, der Bevölkerung die elementarsten Rechte zuzugestehen. Auf der anderen Seite versorgen die islamischen Fundamentalisten die Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, sie bauen Schulen oder leisten humanitäre Hilfe, wie beispielsweise nach dem Erdbeben 2005, im Norden des Landes. Der Staat hat damals sehr langsam reagiert und es war kaum nachvollziehbar, was mit den Hilfsgeldern passiert ist. Die Fundamentalisten haben im Gegensatz sofort Hilfe geleistet, sei es medizinische Versorgung, Essen, oder Kleiderspenden.

Sie ziehen aus der Armut ihren Nutzen. Und aus den völlig inkompetenten Politikern. Diese sind nur darauf bedacht, ihre Konten in der Schweiz zu füttern. Sie arbeiten nicht für die Menschen. Und das ist derzeit die gefährlichste Entwicklung. Denn in der Geschichte Pakistans – im Gegensatz zu Afghanistan oder Saudi Arabien – gibt es keine Geschichte des Fundamentalismus. Doch wegen der Inkompetenz, wegen der Korruption der Politiker wird der Fundamentalismus zu einem ernsthaften Problem. Und auch wegen Pakistans Teilnahme am „Kampf gegen der Terror“. Dieser wird sehr gewaltsam durchgeführt und verstört die Menschen, da das Militär gegen Unschuldige vorgeht. All das sorgt dafür, dass der islamische Fundamentalismus wächst.

derStandard.at: Ein Teil der Pakistan Peoples Party (PPP) hat sich unter Benazir Bhuttos Amtszeit abgespalten und die PPP/SB (Pakistan Peoples Party/Shaheed Bhutto) gegründet. Inwieweit grenzt sich diese von der PPP ab?

Bhutto: Die PPP war einmal sozialdemokratisch, ist es aber nicht mehr. Die PPP/SB will das ursprüngliche Manifest der PPP durchsetzen. Dazu zählen grundlegende medizinische Versorgung oder wirtschaftliche Entwicklung. Der Gründer der PPP und Premier Zulfikar Ali Bhutto hat Pakistan vom Commonwealth gelöst. Als Benazir 1988 an die Macht kam, trat das Land dem Commonwealth wieder bei. Das war eines der ersten Dinge, die sie als Premier gemacht hat.

derStandard.at: Wer unterstützt die PPP/SB?

Bhutto: Arme Menschen in ländlichen und städtischen Gebieten. Das ist ein weiterer Unterschied, denn unter Benazir verkam die PPP zu einer elitären Partei. Sie repräsentiert nicht mehr die Bevölkerung, sondern ist zu einem Instrument der "Upper Class" geworden. Die PPP/SB dagegen versucht, die Unterprivilegierten mit einzubeziehen. Sie konzentriert sich auf Punjab, Karachi und die dortigen Slums.


Straßenszene in Karachi

derStandard.at: Sie werden oft als künftige aussichtsreiche Politikerin bezeichnet. Haben sie vor, die politische Bühne zu betreten?

Bhutto: Als Schriftstellerin und Kolumnistin arbeite ich bereits politisch. Ich erhebe auf diese Weise meine Stimme gegen Ungerechtigkeit und ich unterstütze diejenigen Sachen, von denen ich überzeugt bin. Politik hat nichts mit Geburtsrecht zu tun. Mein Name und meine Familie sind kein Grund dafür, dass auch ich in die Politik eintreten sollte.

derStandard.at: Sie haben lange Zeit in den USA und in Großbritannien gelebt. Inwieweit hat Sie das geprägt? Und was hat sich während dieser Zeit in Pakistan geändert?

Bhutto: Diese Zeit gab mir einen wichtigen Einblick in die Gesellschaft der USA und in die Menschen. Die Wahrheit ist, dass wir alle gleich sind. Und sowohl in den USA als auch in Pakistan kämpfen viele Menschen gegen die neokonservative Politik der Bush-Administration.

In Pakistan leben wir nun in einer komplett anderen Landschaft. Als ich das Land verließ, war die Welt noch nicht vom globalen Terrorismus getroffen. Das Pakistan, in das ich zurückkehrte, ist geprägt von diesem globalen Monster des Terrorismus. 9/11 war nicht nur ein Anschlag auf Amerika, es hat die ganze Welt verändert. Auch das Leben in Pakistan hat sich verändert: Sicherheit und Freiheit sind eingeschränkt.

Der größte Unterschied jedoch ist, dass vor 9/11 der Staat keine Menschen verschwinden ließ. Hinzu kommt, dass die Justiz von der Armee und von Musharraf vereinnahmt wurde.

derStandard.at: Sehen sie der Zukunft in Pakistan positiv oder negativ entgegen?

Bhutto: Positiv. Wenn einmal die Macht an die Menschen zurückgegeben wird, werden wir auch unsere politische Zukunft bestimmen können. Das Problem im Moment ist, dass es einen Machtkampf zwischen dem Präsident und Benazir gekommen ist. Eine ihrer Bedingungen war ja, mehr Macht für das Amt des Premiers zu erhalten. Aber wir wollen weder einen starken Präsidenten, noch einen starken Premier, sondern die Macht in den Händen der Wähler, der Bevölkerung und der Aktivisten. Und das wird auf lange Sicht auch geschehen. (Christa Hager/ derStandard.at, 9. November 2007)