Wien – "Verstehen / ist eine Reise / im Land / des anderen" hat Fazil Hüsnü Daglarca (Jahrgang 1914), der wohl bekannteste Dichter der Türkei, einmal geschrieben. 60 Gedichtbände sind von ihm erschienen, im deutschen Sprachraum blieb er unbekannt. Redet man von türkischen Autoren, fällt mit Sicherheit der Name Orhan Pamuk, dessen Bücher Reisen ins Herz der türkischen Finsternis gleichen, ansonsten ist die türkische Literatur ein unbeschriebenes Blatt.

Die Türkei ist ein Land, dessen Literatur wir schlecht kennen, von dem wir aber umso mehr in den Zeitungen lesen. Etwa von einem Krieg, den der Staat, lange schon, gegen einen Teil des eigenen Volkes, die Kurden, führt, von Nationalismus, Identitätssuche und vom berüchtigten Paragraphen 301, unter dem in den vergangene Jahren mehr als 100 Autoren und Intellektuelle der "Verunglimpfung des Türkentums" geziehen, vor Gericht gestellt und zum Teil mit Gefängnisstrafen belegt wurden.

Doch die türkische Literatur ist polyphon und vielfältig geblieben, trotz allem. Einen Überblick über die rege türkische Literaturszene zu geben, schickt sich nun die Alte Schmiede mit einer Veranstaltung im Wiener Odeon Theater an. 12 türkische Autoren und Autorinnen werden von heute bis Sonntag lesen und diskutieren. Anreisen werden unter anderen die englisch und türkisch schreibende Elif Shafak (Jahrgang 1971), die Pamuk für die bedeutendste türkische Autorin hält.

Shafaks Roman Der Bastard von Istanbul, in dem auch die Armenier-Frage angeschnitten wird, wurde in der Türkei zum Bestseller – und zum Skandal, der ihr eine Anklage nach Paragraph 301 einbrachte. Shafak hält heute um 19 Uhr die Eröffnungsrede. Da sein wird auch der Istanbuler Kultautor Murathan Mungan (Lesung, Samstag 18 Uhr), der in seinem Land Auflagenzahlen von 100.000 Exemplaren erreicht. Mit Hasan Ali Toptas, den sie den "Kafka der Türkei" nennen, weil er unter anderem als Finanzbeamter arbeitete, wird ein weiterer ganz Großer der türkischen Postmoderne am Sonntag um 19 Uhr lesen. Der Eintritt zu allen Veranstaltungen ist frei. (Stefan Gmünder / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.11.2007)