Carla Kihlstedt: "Mir geht es nicht um stilistische Fragen. Musik lehrt mich alles Notwendige: zu singen, zu kommunizieren, zu kooperieren, über die Welt nachzudenken."

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Ein Gespräch über Bartók, Laurie Anderson und die Musik als Lehrmeisterin.


Wels – Hätte ihr vor zehn Jahren jemand prophezeit, sie würde dereinst in einer kleinen Stadt in einem kleinen Land in Europa ein Festivals programmieren, Carla Kihlstedt hätte "nervös gelacht und ihn oder sie einer Wahn-Idee geziehen ..."

Dass sie sich nun in der Rolle der biennalen Künstler-Kuratorin des "Unlimited"-Festivals wieder findet, sei "eine ehrenvolle, zugleich schwierige Aufgabe, die ich sehr ernst genommen habe. Das Problem war: da war genug Musik für einen ganzen Monat - aber wer immer sich gefunden hätte, dies logistisch zu bewerkstelligen, wäre tot umgefallen, noch bevor die erste Note gespielt worden wäre."

Ganze drei Jahre hat sie benötigt, um von der Newcomerin zur Festival-Regentin zu mutieren. 2004, da berückte die noch unbekannte Violinistin und Sängerin mit ihrem Trio "2 Foot Yard" erstmals die hiesige Hörgemeinde: Subversiv-minimalistische Kammermusik vernahm man da, über der sich eine glöckchenklare Stimme durchaus tiefsinnige Gedanken über "Kentucky Fried Chicken" oder mit drei Herzen ausgestattete Tintenfische machte.

Es folgten Konzerte mit Pianistin Satoko Fujii sowie im Trio mit Fred Frith und Drehleier-Zeitgenossin Stevie Wishart sowie mit Tin Hat – Performances, die sie 2006 mit der Aufführung von Lisa Bielawas "Kafka Songs" toppte, kontrastreichen Miniaturen, die sie in der anspruchvollen Simultanrolle als Sängerin und Violinistin bewältigte.

"Lisa Bielawa hat mich in gewisser Weise zurück zur klassischen Musik gelockt. Ihre 'Kafka Songs' empfinde ich mittlerweile ebenso als 'meine' Stücke wie ihre – so sollte Interpretation meiner Meinung nach passieren. Es gibt ein Moment der Fokussierung und der Detailarbeit, das ich an einem vollständig fixierten musikalischen Kontext schätze", so Kihlstedt. Mittlerweile fühlt sich die 35-Jährige aus Oakland offenbar frei genug, um zu der Musik zurück zu kehren, von der sie sich auf so kreative Weise emanzipiert, freigespielt hat. Denn mit klassischer Musik hat einst alles begonnen im Hause Kihlstedt. Ihre erste Fidel bekam die damals Fünfjährige von ihrer ungarischen Tante Elsie geschenkt, alsbald war sie Teil der Streichquartettabende ihrer Großeltern.

Die Musik Béla Bartóks, vor allem seine Violin-Duette, machte auf die Heranwachsende großen Eindruck: "Die Menschen sehen volks- und akademische Musik oft als Gegensätze, Bartók bewies das Gegenteil." Während des Studiums bedurfte es freilich weiterer Schlüsselerlebnisse, um Kihlstedt vom Klassikweg abzubringen: Sie selbst nennt die Bekanntschaft mit Ornette-Coleman-Stücken in einer jazzorientierten Studenten-Band, die Erfahrung, für eine Aufführung von Beethovens Violinkonzert eigene Kadenzen zu schreiben, sowie die hörende Begegnung mit Laurie Anderson: "Sie war Geschichtenerzählerin, Musikerin, Philosophin, sie schien mir wie eine Schamanin."

Die Folgen wurden im Rahmen des Tin Hat Trio hörbar, Kihlstedts zog freilich bald weiter: zum Dada-Rock-Kabaret "Sleepytime Gorilla Museum" und zu Tom Waits. Welcher rote Faden durch all diese so disparaten Projekte führt? "Fokussiertheit, Klarheit, Engagement, Ehrlichkeit. Zudem geht es immer um Kammermusik. Mir geht es nicht um stilistische Fragen. Musik lehrt mich alles Notwendige: zu singen, zu kommunizieren, zu kooperieren, über die Welt nachzudenken und sie in sich zu spüren." (Andreas Felber / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.11.2007)