Doch nicht alle Ärzte protestierten besonders leidenschaftlich. Lokalaugenscheine in zwei Ordinationen.

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Wien - Das Wartezimmer von Dr. Rudolf Hainz, Allgemeinmediziner im 22. Wiener Bezirk, ist an diesem Donnerstag wie immer vollbesetzt. Aus den Lautsprechern kommt Panflöten-Gesäusel, an der Wand hängen Bilder in Pastellfarben, im Fernsehen informiert Med-TV über alternative Behandlungsmethoden. Die Wartenden blättern entweder in Kleinformaten oder unterhalten sich im Flüsterton über das Wetter, das später zu kochende Mittagessen oder den neuen Freund der Nachbarin im Gemeindebau.

Die schwarzen Plakate mit den großen roten und weißen Lettern passen so gar nicht in das friedliche Bild: "NEIN zur Staatsmedizin", verkünden sie. Und: "Ab 2008 will der Staat über Ihre ärztliche Versorgung bestimmen." Denn der 8. November wurde offiziell zum Ärzte-Protesttag erhoben.

Gespräch und Flugblatt

Nach der Behandlung beim Herrn Doktor gibt es heute ein Flugblatt und ein persönliches Gespräch, in dem der Hausarzt über den Grund des Protestes informiert: Die ambulanten Versorgungszentren (AVZ) drohen in die Realität umgesetzt zu werden, erzählt Doktor Hainz seinen Patienten. Und damit gebe es eine schlechtere und unpersönliche Versorgung, die rein nach wirtschaftlichen Kriterien funktioniert, befürchten die Ärztevertreter.

Im Wartezimmer will das niemand. Dr. Hainz ist in der Gegend eine Institution: "Seit 27 Jahren komme ich hierher. Der Herr Doktor versteht mich, ich kann ihm alles erzählen. Er weiß, gegen welche Medikamente ich allergisch bin und was bei mir am besten hilft", erzählt Aloisia Propper. Allseits beifälliges Nicken. "Meine ganze Familie kommt hier her. Ein Arztbesuch ist einfach Vertrauenssache. Die können doch nicht einfach so über die Bevölkerung drüberfahren - kein Patient will Massenabfertigung in Ambulanzen", teilt die Patientin die Befürchtung ihres Hausarztes.

Die Resonanz auf den Ärzte-Protesttag habe ihn positiv überrascht, erzählt Hainz, der auch stellvertretender Kurien-Obmann der niedergelassenen Ärzte in der Wiener Ärztekammer ist. Nicht zuletzt deswegen überlegen die Ärzte, ein Volksbegehren zu initiieren - die Patienten wissen sie auf ihrer Seite: "Eine Umfrage hat ergeben, dass 40 Prozent der Bevölkerung sogar für einen Streik Verständnis hätten", sagt Hainz.

"Schlechter Scherz"

Er dachte anfangs, die angekündigten Pläne von Gesundheitsministerin Andrea Kdolsky (ÖVP) seien ein "schlechter Scherz", erzählt er im Gespräch mit dem Standard. Die Pläne für die AVZ sind nun wieder vom Tisch - Ärztekammer-Präsident Walter Dorner hatte Ende Oktober eine entsprechende Vereinbarung mit der Gesundheitsministerin unterzeichnet, danach wurde ein ursprünglich geplanter Streiktag abgesagt. Dennoch sei die derzeit gültige 15a-Finanzvereinbarung zwischen Bund und Ländern eine "tickende Zeitbombe", befürchtet Hainz. Österreichs Ärzte seien daher in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt.

Denn mit den AVZ würde der Fokus im Gesundheitssystem weg vom Menschen und hin zu den Finanzen gehen, befürchtet Hainz. Die Ärzte würden ja jetzt schon gezwungen, ständig zu sparen: "Die Gebietskrankenkassen verlieren durch Gesetzesnovellen seit dem Jahr 2000 Millionen von Euro. Und wir werden nun gezwungen, zu rationieren." Dass es im österreichischen Gesundheitssystem Reformen braucht, bestreitet aber auch der Ärztevertreter nicht. Mit den Gruppenpraxen könnte er sich durchaus anfreunden, auch die Ärztekammer hat dagegen nichts einzuwenden (siehe Artikel unten).

Längst nicht alle Ärzte sind aber mit so viel Engagement dabei wie Rudolf Hainz. Peter Peitl, Allgemeinmediziner im zweiten Wiener Gemeindebezirk, fühlt sich nicht ausreichend über den Protesttag informiert. Er habe lediglich ein Plakat erhalten, das er auch in die Ordination gehängt hat, "um die Patienten aufzuklären". Darüber hinaus verläuft sein Praxisbetrieb an diesem Donnerstag genauso wie an allen anderen Tagen auch, erzählt er dem Standard.

Natürlich, wenn ihn ein Patient auf den Protesttag anspricht, dann erklärt er schon, worum es der Ärztekammer mit diesem Signal geht. Schließlich teilt Peitl ja auch selbst die Besorgnis, "dass wir mit den allgemeinen Versorgungszentren eine gewisse Selbstständigkeit verlieren". Er warnt auch davor, dass - wenn es nach den Plänen des Gesundheitsministeriums geht - die Behandlung für den einzelnen Patienten unpersönlicher werde. Denn ob man auch in einer Gruppenpraxis immer zu Herrn Doktor Peitl gelange, wenn man es denn wolle, das sei fraglich.

Trotzdem: Professioneller Agitator ist Peitl in dieser Sache nicht. Er absolviert die Pflicht (mit Plakat und Gespräch), aber nicht die Kür (Aktionismus wie z. B. Wartezimmeransprachen), da er ja auch nicht ausreichend über den Ablauf des Protesttages informiert worden sei. Ob er gestreikt hätte, wenn es dazu gekommen wäre? "Vielleicht", aber dazu sei es in all den Jahren der Ankündigung ohnehin noch nie gekommen. So weit reiche nämlich die Ärztesolidarität nicht. Und wenn nur ein Teil die Arbeit niederlegt, sind automatisch die anderen die Dummen.

"Offensiv aufklären"

Der Protesttag soll der Auftakt sein für einen breiten gesellschaflichen Diskurs über das Gesundheitswesen, erklärte Ärztekammer-Präsident Dorner am Donnerstag. "Die Bevölkerung hat ein Recht, zu erfahren, was sie erwartet, und es ist höchste Zeit für die Politik, offensiv über diesen Systemwandel aufzuklären und die Bevölkerung in den Dialog einzubinden." Bisher liefe dieser Wandel nämlich ausschließlich im Stillen ab.

Dorner beklagte weiter, dass sowohl Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) als auch Vizekanzler Wilhelm Molterer (ÖVP) der Bitte der Ärztekammer um gemeinsame Gespräche bisher nicht nachgekommen seien. "Wir stehen Gewehr bei Fuß, haben aber trotz wiederholter Vorstöße bisher keine Gesprächstermine erhalten", bedauerte der Ärztekammer-Präsident. (von Andrea Heigl und Karin Moser/DER STANDARD, Printausgabe, 9.11.2007)