Wien - Am Freitag und Samstag wird im Rahmen der Sigmund-Freud-Vorlesungen 2007 die Freud-Klein-Kontroverse diskutiert. Sie markiert den Aufbruch der Psychoanalyse in die Gegenwart: Melanie Klein, 1882 in Wien geboren und 1960 in London gestorben, schreckte ihre Analytiker-Kollegen auf.

1924 wusste sie auf einem Salzburger Kongress zu berichten, dass ihrer Beobachtungen zu Folge Kinder schon zu Beginn des zweiten Lebensjahres eine Vorliebe für den andersgeschlechtlichen Elternteil entwickeln. Wie sie in diesem Alter auch bereits von einem prägenitalen Über-Ich gequält werden. Das passte nicht wirklich zu den Lehren der Gruppe um Freud, die den Ödipuskomplex deutlich später ansetzte und die Entwicklung des Über-Ichs als dessen Endergebnis betrachtete.

Noch weniger passte zur klassischen Analyse, was Klein später noch alles zu sagen hatte. Etwa dass schon beim Säugling ein rudimentärer Ich-Kern besteht (der nicht erst durch das Zusammenspiel von Trieb und Sprache zustandekommt). Oder dass ebenfalls von Anfang an Babies zu äußeren Objekten in primitiver Form Kontakt aufnehmen und damit in einer Austauschbeziehung stehen (statt sich monadenhaft einem Triebgeschehen entlang zu entwickeln).

Auch wenn Klein sich damit als Fortentwicklerin Freuds sah - die Wiener und Berliner Kollegenschaft sah das anders, weshalb Klein schließlich in London heimisch wurde und die britische Psychoanalyse fundamental prägte. Sogar noch zum Zeitpunkt, als die Freuds nach England gekommen waren und Klein mit Anna Freud - wie sie eine Pionierin der Kinderanalyse - zum Teil scharfe Auseinandersetzungen hatte.

Wahrscheinlich wäre das nur eine historisch-nostalgische Thematik, wenn in dieser Kontroverse nicht doch ein Stück Gegenwart aufblitzen würde. Denn nach dem großen Freud- und Reich-Boom in den Siebzigerjahren und einem wahren Lacan-Hype in den Achtzigern und Neunzigern, scheinen nun die "Kleinianer" irgendwie im Trend zu liegen. Oder zumindest das, was seine Ursprünge bei Melanie Klein und ihrem Umfeld hat: Objektbeziehungstheorie; projektive Identifizierung (das kleine Kind spaltet seine Ängste ab und legt sie gleichsam in die Mutter hinein, die damit auch in ein verschiedene "Auslagerungen" tragendes Partial-Objekt aufgespalten wird); die paranoid-schizoide Position (die psychische Verfasstheit des Kindes in den drei ersten Lebensmonaten, in denen das Kind Ängsten von psychotischem Charakter ausgesetzt ist und sein rudimentäres Ich in winzige Teile aufspaltet); die depressive Position (in der die zuerst zerteilten Objekte zu Ganzheiten zusammengefügt werden) - all diese Begriffe sind heute von fundamentaler Bedeutung. Bis hinein in die Team- und Organisationsentwicklung, wo etwa daran gearbeitet wird, Gruppen aus der paranoid-schizoiden in die depressive Position zu überführen.

Insofern ist es stimmig, wenn die "Sigmund-Freud-Vorlesungen 2007" dieses Wochenende mit der Freud-Klein-Kontroverse (u. a. mit Beiträgen von Thomas Aichhorn, Marianne Scheinost-Reimann, Christine Diercks und Gertraud Diem-Wille) enden, endet man doch damit eben dort, wo sich Psychoanalyse nach Klein letztlich abspielt - in der Gegenwart. (Christian Eigner, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. November 2007)