Wien - Ein globales Sinken der Tuberkulosebedrohung ist laut Elisabeth Dietrich-Daum, Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Innsbruck, noch nicht so schnell zu erwarten. Die Tuberkuloseverbreitung bleibe "ein verlässlicher 'Sozialindikator'". In ihrer Neuerscheinung zur "Wiener Krankheit" verfolgt die Tirolerin die Sozialgeschichte der Tuberkulose in Österreich. Die Krankheit gilt seit jeher als die Krankheit der Unterprivilegierten und Armen.

Benennung

Den Namen "Wiener Krankheit" erhielt die Tuberkulose in Österreich zur Zeit von Kaisers Joseph II., wurden doch u.a. der Wiener Staub, die feuchten Wohnungen, schlechte Lebensbedingungen und das "Wiener Gemüt" mit der Verbreitung in Verbindung gebracht. Hierzulande war die Tuberkulose noch im Jahr 1920 mit 15 Prozent der Sterbfälle die zweithäufigste Todesursache. Eng verknüpft mit den Überlebenschancen waren der soziale Status, schreibt die Historikerin.

"Die Bezeichnung 'Wiener Krankheit' scheint wie eine düstere Prophezeiung auf Wien gelastet zu haben. Die Zuschreibung hatte aber keinen klaren empirischen Hintergrund", so die Autorin. Eine Sterberate von 90,9 auf 10.000 Lebende im Jahr 1871 war vermutlich der Höhepunkt der Tuberkuloseverbreitung in Wien. Rund vierzig Jahre später hatte sich die Sterberate aber laut der Historikerin "mit einem Stand von 30 schon fast an den österreichischen Durchschnittswert (Österreich: 29) angenähert".

Untersuchung

Dietrich-Daum untersuchte in ihrer Studie die von der Krankheit ausgehende schicht-, alters- und geschlechtsspezifische Sterblichkeit und Betroffenheit. Neben zusammengetragenem Zahlenmaterial zur Entwicklung der Tuberkulosesterblichkeit aus dem 19. Jahrhundert bis heute beleuchtet sie auch die vorstatistische Zeit der "Schwindsucht", die Ursachen und Folgen der Tuberkuloseausbreitung, die nach dem ersten Weltkrieg gestarteten Fürsorgemaßnahmen und Therapieangebote (u.a. Errichtung von Heilstätten) sowie die Behandlung von Tuberkulose-Patienten während der NS-Zeit.

Auch heute noch tritt die Tuberkulose "in der industriellen Welt in sozialen Nischen auf und kennzeichnet Randständigkeit", schreibt die Autorin. Die Tuberkulose müsse auch weiterhin als ausgesprochen sozial bedingte Krankheit gelten, "sie kann auch in Zukunft ähnlich der Säuglingssterblichkeit als Indikator für den sozialen und medizinischen Standard eines Landes betrachtet werden".

Steigende Zahl der Tuberkuloseinfizierten

Laut Dietrich-Daum sterben global mehr Menschen an Tuberkulose als an jeder anderen behandelbaren Infektionskrankheit, "95 Prozent davon in den sogenannten Entwicklungsländern". Seit Mitte der 1980er Jahre steige die Zahl der Tuberkuloseinfizierten und -sterbefälle wieder an, im Jahr 2000 erkrankten weltweit 8,7 Millionen Menschen neu an aktiver Tuberkulose. Symptome einer Infektion sind u.a. ein länger anhaltender Husten, Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust, Stechen in der Brust und Kurzatmigkeit.

Auch wenn die Krankheit heute medikamentös behandelbar ist - den Grundstein dafür legte die Entdeckung des Erregers (Mycobacterium tuberculosis) durch Robert Koch im Jahr 1882 -, "hat die aktuelle Tuberkulosepolitik in zahlreichen Ländern mit denselben Problemen zu kämpfen wie vor rund 200 Jahren: mit ökonomischer und sozialer Ungleichheit, mit politischer und sozialer Instabilität, mit Ignoranz der politischen Instanzen und mit Aufklärungs- und Medikalisierungsdefiziten". (APA)