Cover: Oetinger
Als ich im Dezember 1988 Astrid Lindgren in ihrer Wohnung in Stockholm besuchen durfte, konnte man vom großen Fenster des Wohnzimmers aus die Lichter des Vasa-Parks gegenüber schimmern sehen. Es lag Schnee in Stockholm, auch auf der Wiese des Parks.

Dort, auf einer Bank im Park, beginnt eine meiner liebsten Geschichten von Astrid Lindgren: Mio, mein Mio. Ich erzählte es Astrid Lindgren, als sie mich nach dem Gespräch noch bat, mit ihr einige Runden im verschneiten Park zu gehen. Sie brauche einen Arm zum Festhalten. Beim Kaffee in ihrer Küche hatten wir zuvor lange über ein anderes ihrer Bücher gesprochen, über ihren Roman Die Brüder Löwenherz. Ein "schreckliches Totenmärchen" haben Kritiker das Buch genannt. Zwei Brüder, der neunjährige Karl Löwe und sein älterer Bruder Jonathan müssen zu Beginn des Romans sterben. Sie kommen in das Land Nangijala. Aber die Reise geht weiter. Ein neues Land wartet auf sie: Nangilima. "Ich sehe das Licht!", so endet das Buch. Astrid Lindgren hatte 1952 ihren Mann Sture ver-loren, 1986 war ihr Sohn Lars gestorben. Auf einem Friedhof hatte sie eines Tages eine Grabinschrift gesehen: "Hier ruhen die kleinen Brüder Fahlen, gestorben 1960".

Da habe sie beschlossen, ein Märchen über zwei Brüder und den Tod zu schreiben. Sie erzählte von intensiven Gesprächen mit der Schweizer Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross, die ihr von tausenden Fällen erzählte, wo Menschen dem Tod nahe waren. "Sie haben ihren Körper von außen gesehen, und dann kamen sie in einen langen Gang", sagte Lindgren. "Und plötzlich war da Licht, wie sie es nie zuvor gesehen hatten! Ist das nicht tröstlich?" Beim Abschied signierte Lindgren meine Ausgabe der Brüder Löwenherz. Sie gab mir das Buch nachdenklich zurück und sagte: "Ich denke sehr viel an den Tod. Tun Sie das nicht?" (Heinz Janisch, ALBUM/DER STANDARD/Printausgabe, 10./11.11.2007)