Trautl Brandstaller: "Es gibt heute Frauenzeitschriften, wo wir in den 70ern gedacht haben, das ist vorbei. Und es gibt heute wieder verstärkt das Phänomen der Tussi. Die Frauen werden in die alten Klischees hineingezwängt, sie werden als das Püppchen oder das dressierte Äffchen, das sich nur für Mode interessiert, hingestellt."

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Trautl Brandstaller: "Die neue Macht der Frau", Verlagsgruppe Styria

Tipp: Lesung aus "Die neue Macht der Frauen" am Mittwoch, 14.11., um 18 Uhr im "Leseforum" auf der Wiener Buchwoche (Rathaus).

Foto: Styria Verlag
Trautl Brandstaller glaubt nicht an "die Erlösung der Welt durch die Frauen". Sie ist aber für eine gleichwertige Beteiligung der Frauen an der Politik, weil sie "andere Aspekte miteinbringen". Die langjährige ORF-Journalistin und Buchautorin schreibt in ihrem Buch "Die neue Macht der Frauen" über drei Frauen, Angela Merkel, Ségolène Royal und Hillary Clinton, die Führungsansprüche an die Politik stellen.

Im Gespräch mit Rosa Winkler-Hermaden nennt Brandstaller Gründe, warum Frauen es heute leichter haben an die Spitze zu kommen, als in den 70er Jahren, sie spricht über das Männerbild, das sich noch ändern muss, und erklärt, warum sie weder für das Patriarchat, noch für das Matriarchat ist.

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derStandard.at: In Ihrem Buch geht es um Politikerinnen. Was hat sie dazu veranlasst, ein Buch über Frauen in der Politik zu schreiben?

Brandstaller: Es ist kein Buch über Frauen in der Politik, sondern über das Phänomen, dass erstmals Frauen aus ihren Nischen heraustreten und die Spitze der Macht erreichen. Es gab zwar schon Frauen an der Spitze, bei den Skandinaviern und in Irland, aber vor einigen Jahren war es noch undenkbar, dass eine Frau in einem großen, mächtigen Staat wie Deutschland die Regierung übernimmt, wie es bei Angela Merkel der Fall war.

Bevor Frau Merkel an die Macht gekommen ist haben die Zeitungen geschrieben: "Kann die das?", "Wie schaut die aus?", "Kann so ein Merkel Kanzler werden?" Sie wurde in einer Art und Weise niedergemacht, die unfassbar war. Als sie dann aber an der Spitze der CDU und später auch an der Spitze der Regierung war, ist das sofort gekippt. Die Medien schrieben von "Miss World" oder "Königin der Welt für drei Tage" beim Gipfeltreffen in Heiligendamm. Auf einmal wurde sie von einer Frau, der man nichts zugetraut hat, zu einer Frau, der man alles zugetraut hat.

derStandard.at: Auf dem Cover Ihres Buches sind neben Merkel auch Ségolène Royal und Hillary Clinton abgebildet.

Brandstaller: Angela Merkel war das auffälligste Beispiel. Derzeit läuft das Rennen um die Präsidentschaft in den USA. Ich bin nicht sehr optimistisch, dass Hillary Clinton gewinnt. Aber immerhin, dass eine Frau ernsthaft um die Spitze des mächtigsten Staates kämpft, finde ich interessant.

In Frankreich war es spannend, dass sich erstmals eine Frau um die Präsidentschaft beworben hat. Ségolène Royal ist aber in den Medien nicht sehr fein behandelt worden, auch nicht von ihren männlichen Parteikollegen. Die erste Frage an sie war immer: "Und wer wird auf die Kinder aufpassen?" Ich denke aber, dass die Niederlage von Ségolène Royal eine Niederlage der französischen Sozialisten war. Diese Partei befindet sich in einem ideologischen und personellen Chaos. Auch ein Mann hätte nicht besser abgeschnitten.

derStandard.at: Was für Strategien von Frauen gibt es, um an die Macht zu kommen?

Brandstaller: Die Frauen haben es ziemlich schwer. Sind sie nicht weiblich genug, werden sie als Mannweiber niedergemacht. Das Gegenstück dazu ist das "Weibchen". Bei Hillary Clinton war es am Anfang so, dass sie immer besonders hart sein musste. Mindestens so hart wie Bill, wenn sie schon diesen lockeren Vogel zuhause hat. Jetzt beginnt Hillary Clinton aber langsam damit zu spielen, dass sie eine Frau ist.

Der Durchbruch wird erst dann erreicht sein, wenn eine Frau sich zu ihrer Weiblichkeit bekennen kann und gleichzeitig Führungsstärke hat. Wir müssen soweit kommen, dass eine Frau nicht danach beurteilt wird, ob sie einen Hosenanzug oder einen Rock trägt, sondern danach, was sie im Kopf, und welche Qualitäten, Kompetenzen und Fähigkeiten sie hat.

derStandard.at: Wie sehr hat die Frauenbewegung in den 70er Jahren dazu beigetragen, dass heute Frauen als Politikerinnen erfolgreich sind?

Brandstaller: Politisch aktive Frauen wurden früher von Männern benutzt und vorgeschoben, es gab entweder Alibi-Frauen oder Ausnahmeerscheinungen. Die Frauen, die sich in der Frauenbewegung Anfang der 70er Jahre engagiert haben, wollten die Hälfte der Macht. Ihr Ansatz war: Eigentlich kann eine wirkliche Demokratie nur dann funktionieren, wenn die Frauen eine volle Teilhabe auf allen Ebenen der Macht haben.

derStandard.at: Was hat sich seit den 70ern geändert? Was ist besser geworden?

Brandstaller: Es gibt zwei wesentliche, positive Veränderungen. Das eine ist der rasante Aufholprozess, den die Frauen in der Bildung vollzogen haben. Das ist phänomenal, man kann schon fast von einer Bildungsrevolution sprechen - die Frauen haben es geschafft, völlig gleichzuziehen. Frauen wurden früher abqualifiziert unter dem Motto: "Du kennst dich da nicht genug aus. Bleib bei deinen Leisten - zuhause bei deinen Kindern." Und heute gibt es schon gleich viele weibliche wie männliche Maturanten und bald mehr Akademikerinnen als Akademiker.

Das andere ist eine subtilere Entwicklung, die man nicht so leicht in Ziffern oder empirischen Untersuchungen festhalten kann: es gibt ein gewachsenes Selbstbewusstsein der Frauen. Meine Generation war zu Beginn der 70er Jahre noch von sehr vielen Minderwertigkeitskomplexen und Schuldgefühlen gegenüber Kindern und Mann, wenn man Karriere machen wollte, geprägt. Diese Minderwertigkeitskomplexe wurden einem sehr subtil vermittelt. In einem frühen Klub 2 hat ein bekannter Theologe es für wunderbar gehalten hat, dass "die Frauen jetzt auch reden können". Im Buch bezeichne ich das als das Phänomen vom sprechenden Hund: eine Frau, die in der Öffentlichkeit geredet hat, wurde behandelt wie ein abnormales Kuriosium.

An den Wirtshaustischen und im Parlament gibt es zwar noch manchmal Sprüche in diese Richtung, aber im Großen und Ganzen sind diese Abwertungsprozesse von Frauen nicht mehr üblich.

derStandard.at: Ich finde es interessant, dass sie Wirtshaustische in einem Atemzug mit dem Parlament nennen.

Brandstaller: Es ist noch gar nicht solange her, als die jetzige Volksanwältin Terezija Stoisits, das Mikro in der Hand hatte und ein ÖVP Abgeordneter ihr eine eindeutige obszöne Bemerkung im Plenum zugerufen hat.

derStandard.at: Wie sieht es mit negativen Entwicklungen seit den 70er Jahren aus?

Brandstaller: Es gibt heute Frauenzeitschriften, wo wir in den 70ern gedacht haben, das ist vorbei. Und es gibt wieder verstärkt das Phänomen der Tussi. Die Frauen werden in die alten Klischees hineingezwängt, sie werden als das Püppchen oder das dressierte Äffchen, das sich nur für Mode interessiert, hingestellt. Paris Hilton ist ein schwerer Rückschlag für die Frauenbewegung. Die Gründe liegen sicher in der wirtschaftlichen Entwicklung. So heftig wie derzeit der Arbeitskampf tobt, ist es natürlich, dass es Versuche gibt, die Frauen aus dem Arbeitsmarkt hinauszudrängen und ihnen einzureden, dass nur der Luxus das Leben lebenswert macht.

derStandard.at: Wie steht es um die Rolle der Männer bei der Förderung der Frauen?

Brandstaller: Ich finde es positiv, wenn man heute junge Väter sieht, wie sie den Kinderwagen schieben oder in Lokalen die Kleinkinder füttern oder in den Schlaf wiegen. Vor dreißig Jahren hätte man einen solchen Mann noch als Waschlappen bezeichnet.

Obwohl noch nicht alle jungen Männer soweit sind, scheint ein Großteil bereit zu sein, neue Aufgaben in einer Partnerschaft zu übernehmen.

derStandard.at: Oft wird die mangelnde Solidarität unter Frauen kritisiert bzw. dass Frauennetzwerke nicht existieren oder dass sie nicht so gut funktionieren. Warum ist das so?

Brandstaller: Männer haben einen historischen Vorteil: sie waren immer in Männerbünden organisiert - ob beim Militär, in der Kirche, in Parteien oder Gewerkschaften. Jetzt, wo es mehr Frauen in den einzelnen Bereichen gibt, müssen Frauen die Solidarität auch erst lernen. Und sie beginnen Netzwerke zu bilden, zum Beispiel Mediennetzwerke.

Trotzdem ist die Frauensolidarität nicht genug entwickelt. Es gibt immer wieder Frauen, die an die Spitze kommen, und Frauen nicht fördern. Die erste Generaldirektorin vom ORF, Monika Lindner, hat nach der Aufnahme ihrer Tätigkeit auf die Frage, ob sie jetzt Frauen fördern wolle, geantwortet, sie sieht keine wirklich qualifizierten Frauen hinter sich.

derStandard.at: In Pakistan steht momentan auch eine Frau, Benazir Bhutto, im Mittelpunkt des Medieninteresses. Wie kann man ihre Rolle beschreiben?

Brandstaller: Es gibt in Asien mehrere Beispiele, wo Frauen durch Verwandtschaftsverhältnisse - Töchter, Ehefrauen oder Mütter - an die Macht gekommen sind. Das ist ein anderes Modell als etwa in Europa: Frauen kommen durch ein reines Clan-Denken auch an die Macht. Das hat aber nichts mit einem Fortschritt in der Demokratie zu tun.

Frau sein alleine ist noch kein tolles Programm für die Politik. Benazir Bhutto ist auch nicht ganz unschuldig aus der Politik gegangen und versucht jetzt wieder einen neuen Schritt.

derStandard.at: Frauen sind also nicht die besseren Männer?

Brandstaller: Ich glaube nicht an die Erlösung der Welt durch die Frauen. Ich glaube auch nicht, dass das Matriarchat ein Segen wäre. Mein Plädoyer geht dahin, dass Frauen, wenn sie voll beteiligt sind, auch einen anderen Blick und andere Aspekte in die Politik miteinbringen.

derStandard.at: Wann wird es in Österreich die erste Bundeskanzlerin geben?

Brandstaller: Nach dem Rücktritt von Viktor Klima in der SPÖ war kurz die Rede davon, dass Brigitte Ederer die SPÖ-Führung übernehmen könnte. Sie hat den bemerkenswerten Satz gesagt: "Die SPÖ ist noch nicht reif für eine Frau."

Die Grünen sind relativ fortschrittlich auf diesem Gebiet, haben derzeit aber auch einen Mann an der Spitze. Ich schließe nicht aus, dass die ÖVP, motiviert durch das Beispiel Merkel, nach einer Frau als Spitzenkandidatin sucht. Hinter den Kulissen wird gemunkelt, dass Ex-Kanzler Schüssel seine langjährige Kabinettschefin, die derzeitige Außenministerin Ursula Plassnik als Überraschungskandidatin hervorzieht. Ich würde das nicht ausschließen und ich glaube, dass das Land absolut reif dafür wäre. Es treibt sich soviel Mittelmaß in der derzeitigen Politik herum, dass derzeit der Tenor in der Bevölkerung vorherrscht: "Warum nicht auch einmal eine Frau an der Spitze?"

derStandard.at: Was würden Sie Frauen raten, wie sie sich in Zukunft verhalten sollen, damit sich die Situation für sie noch verbessert?

Brandstaller: Die Frauen haben ihre Lektion gelernt. Sie wissen, dass sie eine ordentliche Ausbildung brauchen, dass sie ihre sozialen Kompetenzen, die sie besser entwickelt haben als Männer, einsetzen müssen. Was uns fehlt, ist eine Veränderung der Gesellschaft insgesamt. Ich bin weder für das Patriarchat, noch für das Matriarchat, sondern für Partnerschaft. Doch die Partnerschaft funktioniert nicht wirklich. Es muss sich innerhalb der Gesellschaft noch sehr viel ändern. Warum können nicht Männer und Frauen, solange die Kinder klein sind, einfach mehr Urlaub haben? Eine Umorganisation der Arbeitswelt würde sehr viel helfen.

Es muss einen neuen Vertrag zwischen den Geschlechtern geben. Also nicht immer nur die Frauen in der Rolle der Bettler: "Passt auch auf unsere Kinder auf" oder "Vielleicht könntet Ihr am Samstag auch einmal das Frühstück machen?" Aus dieser Position müssen die Frauen raus, aber Männer müssen ihr Mitwirken auch selber anbieten. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 10.11.2007)

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