60 Nationen auf vier Quadratkilometern - nicht nur türkische Greißler machen Rudolfsheim-Fünfhaus zur am buntesten bevölkerten Gegend Österreichs: "Hier sitzt die Frau mit Kopftuch neben dem 16-Jährigen mit Glatze."

Foto: STANDARD/Cremer
Wien - Der Türke hat sich am Eck breitgemacht. Angefangen mit einem besseren Kebabstand, gehört ihm fast schon die ganze Zeile. Zwei Blocks weiter, gleich neben dem Vietnamesen, führt eine Äthiopierin ein Callcenter. Am Ende der Straße dominiert der Balkan. Die Jeunesse dorée der Zuwandererszene fährt hier abends in großen Schlitten vor, während um die Ecke Prostituierte aus Osteuropa auf und ab stöckeln.

60 Nationen im Bezirk

Willkommen in Rudolfsheim-Fünfhaus, Österreichs größtem Ausländerghetto oder - je nach Geschmack - Multikultiparadies. Bewohner aus 60 Nationen beherbergt der 15. Wiener Bezirk, wie Vorsteher Walter Braun (SPÖ) erzählt. Beinahe jeder Zweite, genau 46,2 Prozent, verfügt laut neuen Daten der Statistik Austria über Migrationshintergrund.

Der Name täuscht

Katharina Pawkowicz könnte eine davon sein, doch der Name täuscht. Die 28-Jährige stammt aus alteingesessener Familie, ihr Vater war Chef der Wiener FPÖ. Nach Jugendjahren im hipperen 7. Bezirk ist sie zu ihren Wurzeln, zum Schwendermarkt, zurückgekehrt. Und hat ihr Grätzel kaum wiedererkannt. "Zu meiner Zeit waren fünf, sechs Ausländer in einer Volksschulklasse", sagt Pawkowicz: "Heute geht dort kein einziges österreichisches Kind hin."

Die vielen Mietshäuser aus der Zeit der Jahrhundertwende sind es, die den Arbeiterbezirk auf gewisse Weise attraktiv machen. Desolate Zustände, dafür niedrige Kosten - das lockt arme Zuwanderer an. Gemessen an der Kaufkraft ist Wiens 15. der viertärmste Bezirk Österreichs. Übrigens einen Platz vor Zwettl, der Gegend mit den wenigsten Immigranten.

Ausländer-raus-Fantasien proklamiert die FPÖ-Bezirksrätin Pawkowicz nicht, sie äußert sogar "Verständnis" für Zuwandererkids, die aus kleinen Wohnungen auf die Straße flüchten. "Aber man darf nicht die Augen verschließen", sagt sie und erzählt von Türkengrupppen, die Parks "wie Reviere" verteidigen würden, und den vielen Greißlern, die zu Dönerbuden mutiert seien. Die alten Bewohner fühlten sich da nicht mehr zuhause, meint Pawkowicz: "Ich bin, ehrlich gesagt, ratlos."

Doch Rudolfsheim-Fünfhaus hat auch ein anderes, optimistisches Gesicht. Zu sehen ist dieses an der Märzstraße, wo die U3 nach und nach trendige Ethno-Lokale und junge Aufsteiger mit sich brachte. Im Viertel um den Reithofferplatz haben die Grünen bei den vergangenen Wien-Wahlen 27 Prozent abgeräumt. Und das in einem Bezirk, in dem die FPÖ in den Neunzigern nach der Mehrheit gegriffen hat.

Kopftuch und Glatze

Von einer Idylle berichten die Anrainer auch hier nicht. Der 33-jährige Bayram Tekin etwa wurde im Beisl am Eck, wo das lokale Kleinbürgertum vom Installateur bis zum Kiberer speist, lange nur dann ordentlich bedient, wenn er mit seiner großen, blonden Freundin dort war. Umgekehrt würden türkische Jugendliche Österreicher, vor allem Frauen, oft nicht für voll nehmen.

Aber gerade weil sich alle täglich zusammenraufen müssten, hält der Marketingfachmann mit Wurzeln an der Schwarzmeerküste die Situation in Rudolfsheim-Fünfhaus für entspannter als anderswo und die vielbeschworene Parallelgesellschaft für weniger ausgeprägt: "Hier sitzt die Frau mit Kopftuch im Park zwangsläufig neben dem 16-jährigen Glatzerten."

Nur ein Phänomen macht Tekin Sorgen: jene Jugendlichen ohne Perspektive, von denen Jahr für Jahr mehr im Park herumlungern würden. "Dieses Potenzial muss man nützen", meint er, "und sei es für die Nationalmannschaft." (Gerald John, DER STANDARD Printausgabe, 10./11.11.2007)