Die EU-Sanktionen gegen die schwarz-blaue Regierung im Jahr 2000 waren laut Fischer keine Verschwörung der Linken.

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Österreichs Wirtschaft profitiert in den ehemaligen k.u.k. Regionen von der EU-Erweiterung, aber die Bevölkerung ist so EU-skeptisch. Da mangelt es an Leiden- schaft und Führung. Das muss von ganz oben kommen, also vom Bundeskanzler.

Quelle: Standard
Joschka Fischer, ehemaliger deutscher Außenminister und als solcher nie um eine Antwort verlegen, hat plötzlich Erinnerungslücken. "Wie war das im Jahr 2000 genau mit den EU-Sanktionen gegen die schwarz-blaue Regierung?", will Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid am Freitagabend bei der Standard-Diskussion und Österreich-Präsentation seiner Memoiren wissen. Wer habe aus Wien selbst auf Ächtung gedrängt? "Ich kann mich nicht mehr erinnern", sagt Fischer, und bei den rund 600 Zuhörern in der Aula der Wissenschaften bricht Gelächter aus.

"War es jemand aus der SPÖ?", fragt Föderl-Schmid. "Nein." "Von den Grünen?" "Nein." Von der ÖVP?" Schließlich hat es damals in Brüssel wie Wien Gerüchte gegeben, der damalige Bundespräsident Thomas Klestil selbst habe die Sanktionen angemahnt. Fischer grinst und wiederholt: "Ich kann mich nicht mehr erinnern."

Er wird diese Geschichte nicht los, schon gar nicht in Wien, wo viele Leute immer noch das deutsche Kanzleramt als Wiege des Bannstrahls sehen. Doch wie schon in seinen Memoiren bekennt Fischer auch in Wien: "Der Fehler war damals, die Dinge zu verkomplizieren." Der Eintritt der FPÖ in die Regierung habe auch ihn selbst in ein politisches Dilemma gebracht: "Ich war der Meinung, man kann formal nichts beschließen, weil das das Gegenteil bewirkt in Österreich, aber umgekehrt konnte man auch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen." Es sei ja nicht möglich gewesen, "eine Partei am Rande des Rechtsradikalismus" salonfähig zu machen.

In Frankreich, erinnert Fischer, sei auch Präsident Jacques Chirac von seinen eigenen Leuten bedrängt worden, mit dem Rechtsaußen Jean-Marie Le Pen zu paktieren, um die Sozialisten loszuwerden. Ähnliche Tendenzen habe es in Belgien gegeben. Fischer: "Die EU-Sanktionen waren keine Verschwörung der Linken. Es ging darum, die EU zusammenzuhalten und einen Dammbruch zu verhindern. Die portugiesische Präsidentschaft stand damals unter großem Druck." Doch Fischer räumt auch ein, dass er sich in der Frage, wie denn nun mit dem kleinen Österreich umzugehen sei, nicht habe durchsetzen können. "Lasst uns Österreich die kalte Schulter zeigen - ohne es formal zu machen", lautete sein Rat. Das hätte bedeutet: Botschafter werden nicht von Ministern empfangen, man fährt nicht nach Wien. Doch die EU-Staaten entschieden anders, und es wurden offiziell Sanktionen eingeleitet. Fischer ist überzeugt: "Ohne dieses Informelle hätte es in der Bevölkerung keinen Solidarisierungseffekt mit der Regierung gegeben."

Wenn Fischer heute auf das Verhältnis der Österreicher zur EU blickt, dann sieht er da "einen Widerspruch". In den früheren k.u.k. Gebieten profitiere das Land wirtschaftlich enorm von der Erweiterung. Andererseits aber herrsche eine große EU-Skepsis in der Bevölkerung. "Da mangelt es an Leidenschaft und Führung. Und das muss wirklich von ganz oben kommen, also vom Bundeskanzler", kritisiert der ehemalige deutsche Außenminister.

Grüner Feuerlöscher

Apropos Bundeskanzler. Gerhard Schröder und Fischer - dieses Verhältnis war nicht immer einfach, zumal Schröder schon zu Beginn der rot-grünen Jahre klarmachte, dass er selbst "der Koch" sei, Fischer aber nur "der Kellner". Tatsächlich, feixt Fischer, sei es dann aber so gewesen: "Wir mussten öfter mit dem Feuerlöscher in die Küche" - etwa, als Schröder praktisch im Alleingang den Nationalfeiertag abschaffen wollte.

Heute ist Fischer "sehr stolz", dass Kanzlerin Angela Merkel die "unverzichtbare" Politik der Grünen (Ökosteuer, Einstieg in erneuerbare Energie) weiterführt - und auch darauf, dass "es keine Grundsatzdebatte mehr gibt, ob sich deutsche Soldaten an der Friedenssicherung" in aller Welt beteiligen. "Die Grünen standen voll im eisigen Wind", beschreibt Fischer die Regierungszeit, als es galt, Kompromisse zu schließen. Noch heute erinnert er sich an den Balkankrieg mit deutscher Beteiligung als "Albtraum"für die Grünen, mit denen er viele Scharmützel auszufechten hatte. "Waren die Grünen für Sie ein Mittel zur Macht?", wird Fischer gefragt. Seine Antwort: "Selbstverständlich! Macht ist die Voraussetzung, um Dinge politisch zu verändern. Und wenn jemand sagt, ich gehe in die Politik, weil ich keine Macht will, dann müssen sämtliche Alarmsirenen angehen, weil der- oder diejenige lügt." (Birgit Baumann, DER STANDARD, Printausgabe, 12.11.2007)