Sie werden es natürlich nicht zugeben. Aber ein gewaltiges Motiv der Ablehnung der Gesamtschule oder Neuen Mittelschule durch die Gymnasiallehrer ist neben möglichen Gehaltseinbußen der absehbare Zusammenbruch des Nachhilfe-Marktes. Denn das neue Schulsystem soll (wenn es überhaupt kommt) die individuelle Förderung so stark forcieren, dass die Nachhilfestunden binnen zehn Jahren halbiert werden können. Bei der Ganztagsvariante sollte der Rückgang noch massiver sein.

Eine Nachhilfe-Stunde kostet heutzutage zwar immer noch erheblich weniger als eine psychiatrische Beratung. Da diese Beträge jedoch oft schwarz über den Tisch laufen, sind enorme Verdienste drinnen. Kein Wunder, dass nicht nur die ÖVP-Lehrervertreter, sondern auch die der SPÖ rebellieren.

Dass sie andere Gründe vorschützen, ist ihr gutes Recht. Weil es tatsächlich eine Reihe von Kritikpunkten gibt. Das ändert aber nichts daran, dass die bisherige Schulstruktur sehr Lehrerfreundlich ist. Die Ambitionierten kommen auf erheblich mehr Stunden, als gemeinhin angenommen wird. Sie besuchen zum Beispiel in den Ferien Fortbildungskurse. Aber wer nicht will, kann auch baden oder Ski fahren. Und diese Kreise möchten überhaupt nichts verändern.

Dazu kommen Fakten aus der Geschichte der Schulreformen. Lehrer gehörten immer zur oberen Bildungsschicht, weshalb sie auch auf Mitbestimmung Wert legen. Dieses Instrument der Demokratie jedoch dafür einzusetzen, notwendige Reformen zu blockieren, ist ein Missbrauch ihrer Bestimmung.

Deshalb mussten wichtige Änderungen im Schulsystem immer von oben verordnet werden. Von oben heißt heute jedoch und immerhin: vom Nationalrat. Weil SPÖ und ÖVP ungefähr gleich stark sind, kann es keinen flächendeckenden Gesamtschulversuch geben. Die ÖVP verhindert das, indem sie Mitbestimmung schreit und Blockade meint.

Das bisherige System unverändert fortzusetzen wäre ausserdem sozial negativ. Zwölf Prozent der Nachhilfeschüler kommen in Deutschland laut einer Hamburger Studie aus sozial schwächeren Familien. Dort sind auch die Drop-out-Raten höher. Der Zusammenhang ein Zufall? Eine Studie der Arbeiterkammer ergibt für Österreich, dass immer mehr Gymnasiasten arbeiten müssen - vor allem am Wochenende als Kellner, Babysitter, Verkäufer in Großmärkten. Ein Drittel der 1500 Befragten gab im Herbst 2006 an, mit dem verdienten Geld die Familie zu unterstützen.

Schon geht die Mär, Österreich wäre beim jüngsten Pisa-Test um zehn Platze zurückgefallen. Ob das tatsächlich stimmt, werden wir Anfang Dezember erfahren. Sicher aber ist, dass unser Schulsystem den heutigen Anforderungen nicht mehr gewachsen ist. Und dass es darüber hinaus nicht einmal sozial verträglich ist.

Die höheren Kosten, zum Beispiel für zwei Lehrer in einer Klasse (für Begabte oder für Schwächere mit Migrantenhintergrund), werden wir uns wohl noch leisten können.

Die Asfinag kann Schulden bauen, dass die Schwarten krachen. Das kratzt niemanden - Hauptsache, wir sind schnell unterwegs, kriegen die Leitschienen alle zehn Jahre erneuert und fahren nach Schwechat unter einem sündteuren Halb-Tunnel.

Solche Schulden sollten wir in Wirklichkeit für die Verkehrswege des österreichischen Gehirns aufhäufen. Denn die amortisieren sich schneller als die Betonbahnen. (Gerfried Sperl/DER STANDARD, Printausgabe, 12.11.2007)