Einblicke in seelische Nöte: Fischer erzählt in Wien, dass er an Rücktritt gedacht habe, als der Druck wegen seiner gewalttätigen Vergangenheit groß wurde.

Foto: Newald
Auf dem Boden liegt ein Polizist und auf diesen prügelt ein vermummter Mann ein. Dieses Schwarzweiß-Foto aus dem Jahr 1968 schockierte 2001 die Deutschen. Denn damals wurde klar: Der Vermummte ist Joschka Fischer . "Warum war Steinewerfen für Sie in Ordnung, warum aber haben Sie keine Brandbomben geworfen wie später die RAF-Terroristen?", will Chefredakteurin Föderl-Schmid von Fischer wissen. Er sei 1968 bei den Studentendemonstrationen von der Polizei "windelweich gedroschen worden - obwohl ich nichts getan habe", verteidigt Fischer sein Vorgehen von damals und räumt auch eine "gewisse Machodynamik" ein. Eine Waffe aber habe er niemals in die Hand genommen - abgesehen von Pflastersteinen habe er sich nur mit "Holz oder der Faust" gewehrt.

Doch während sein damaliger Weggefährte Hans-Joachim Klein in den Terrorismus abdriftete und am Attentat auf die Opec-Konferenz 1975 in Wien beteiligt war, wählte Fischer bei seinem Widerstandskampf dann doch den Weg durch die Institutionen. "Es ist ein bolschewistischer Irrtum zu glauben, man könne die Welt verbessern, indem man jemandem die Pistole an den Kopf hält und zur Not auch abdrückt", sagt er 30 Jahre nach dem Deutschen Herbst, dem Höhepunkt des RAF-Terrors in Deutschland. Für ihn sei der Terror "nie eine Verführung gewesen", meint Fischer, und spätestens 1977 sei bei der RAF ohnehin klar gewesen: "Das ist ein reines Selbstmordkommando." Auch angesichts deutscher Terroristen, die 1976 bei einer Flugzeugentführung in Entebbe (Uganda) jüdische von nicht-jüdischen Passagieren selektierten, "konnte man nur Abscheu empfinden", und die Terroristen "hätten es nicht anders verdient", als von der Polizei dann erschossen zu werden.

Trotzdem haben Fischer 2001 Vorwürfe, auch er wäre Terrorist gewesen, schwer getroffen: "Ich war sehr verzagt, habe an Rücktritt gedacht und mir gesagt: Das stehst du nicht durch." Doch zwei Mitarbeiter im Außenministerium hätten ihn davon abgehalten, "den Lafontaine zu machen" - also zurückzutreten. Fischer blieb bis 2005, dann lehrte er ein Jahr an der US-Universität in Princeton. Heute lebt er mit seiner fünften Frau und deren Tochter wieder in Berlin, wo er die Beratungsfirma "Joschka Fischer Consulting" gegründet hat.(Birgit Baumann, DER STANDARD, Printausgabe, 12.11.2007)