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Die pakistanische Hatf-3 "Ghaznavi"- Rakete hat eine Reichweite von 290 Kilometern.

Foto: APA/EPA
Washington - Seit in Pakistan der Ausnahmezustand herrscht, machen sich führende Politiker aus aller Welt Sorgen um die Zukunft des Landes. Noch stehen die Forderungen nach Rückkehr zu Demokratie und Bürgerrechten im Vordergrund, doch ein viel bedrohlicheres Szenario beschäftigt vor allem Pakistans wichtigsten Verbündeten, die USA: Washington stellt offen die Frage, ob in dem politischen Chaos die Kontrolle über das Atomwaffenarsenal des Landes noch gewährleistet ist. Islamabad bestritt in einer ersten Reaktion empört jegliche Gefahr - doch die Geschichte des Landes wirft ernste Fragen in Sachen Atomsicherheit auf.

Pentagon besorgt

Überraschend offen hatte ein Vertreter des US-Verteidigungsministeriums in der vergangenen Woche Besorgnis zum Ausdruck gebracht. "Wenn ein Regime, das Atomwaffen besitzt, sich in einer Lage befindet wie jetzt Pakistan, dann ist das selbstverständlich ein Grund zu großer Sorge", sagte General Carter Ham.

Die Zeitung "Washington Post" berichtete sogar, die USA verfügten über einen Notfallplan, um zu verhindern, dass pakistanische Atomwaffen in die Hände von Anhängern des Terrornetzwerkes El Kaida geraten. Das Problem sei allerdings die begrenzte Kenntnis der US-Behörden über den genauen Standort der Waffendepots, zitierte die Zeitung einen ehemaligen US-Regierungsmitarbeiter.

Wer verfügt denn über die Abschuss-Codes?

Diese Ungewissheit wird von der Opposition in Washington bereits bemängelt. "Wir brauchen mehr Klarheit über das, was in Pakistan passiert", verlangte die demokratische Nuklearexpertin Ellen Tauscher. "Wer verfügt denn über die Abschuss-Codes? Und wer ist der nächste in der Kommandoreihe?" Die USA jedenfalls hätten nach ihrem Informationsstand nur wenig Kontrolle über die Situation. Die Sorge in den USA ist verständlich. Das internationale Terrornetzwerk El Kaida, das Geheimdiensterkenntnissen zufolge im staatlich nicht kontrollierten Nordwesten Pakistans Fuß gefasst hat, strebt seit Jahren danach, sich mit Massenvernichtungswaffen auszurüsten.

Doch für Experten besteht das Risiko nicht nur darin, dass Anhänger von El Kaida Pakistans Atomwaffen in die Hände bekommen könnten. Gefahr drohe vielmehr von pakistanischen Experten, welche die unübersichtliche Lage für einen lukrativen Technologieschmuggel nutzen könnten.

Der "Vater" der pakistanischen Atombombe, Abdul Qadeer Khan, hatte im Februar 2004 in einer großen Geste gestanden, Atomwaffentechnik nach Libyen, Iran und nach Nordkorea weitergegeben zu haben. Wegen dieses offenen Eingeständnisses begnadigte Militärmachthaber Pervez Musharraf den damals 67-Jährigen, der des Geheimnisverrats beschuldigt wurde, in seinem Land aber noch immer als Nationalheld gilt. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) äußerte damals den Verdacht, pakistanische Atomexperten hätten sich bei den Deals mit den "Schurkenstaaten" persönlich bereichert.

Seither hat sich an der Situation offenbar nicht wesentlich geändert. Ende September kam das US-Forschungszentrum NTI (Nuclear Threat Initiative) in einer Studie zu dem Ergebnis, dass in Pakistan und Russland die Gefahr von Nuklearmaterial-Diebstahl weltweit am größten sei. Zwar habe Pakistan keine großen Vorräte an atomwaffenfähigem Material, doch sei die "Zuverlässigkeit seiner Offiziere" fraglich. Es sei erwiesen, dass hochrangige pakistanische Militärs bei zwei gescheiterten Anschlägen auf Musharraf mit El Kaida zusammengearbeitet hätten. Pakistans Atomreaktoren, die mit atomwaffenfähigem angereichten Uran funktionierten, würden nur nachlässig bewacht. "Meist gibt es nur einen Nachtwächter und ein Gitter", bemängelte NTI. (Daphne Benoit/AFP)