Vorurteile durch Geschichten über Menschen unterlaufen: Aleksanyan wird wieder zum Derwisch.

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Wien – Der Derwisch ist nicht beleidigt, wenn man ihn einen Träumer nennt. Im Gegenteil. "Denn was bleibt, wenn wir unsere Träume verlieren? Was bleibt, wenn wir nicht mehr an Wunder glauben?"

Manchmal ist es da nicht ganz klar, ob gerade Aret Güzel Aleksanyan oder der Derwisch spricht. Obwohl Aleksanyan Wert darauf legt, nicht auf jene Rolle reduziert zu werden, mit der er ab Mittwoch wieder auf der Bühne "seines" Interkulttheaters in Wien Mariahilf steht. "Derwisch erzählt II" heißt das Programm. Und wie im Vorjahr, als der 53-Jährige statt acht über 90 Vorstellungen lang das Haus füllte, wird da genau eines passieren: Es wird erzählt. Auf den ersten Blick 1001-Nacht-Geschichten. Auf den zweiten Migranten-Geschichten, bei denen nicht klar ist, ob sie in Damaskus oder in Wien spielen. Auf den dritten Blick Geschichten über das, was Menschen und Menschlichkeit ausmacht. Herkunftsunabhängig: Ob die Erzählungen von Nasredin Hodja (dem arabischen Eulenspiegel), Rafik Schami (ein Autor der türkisch-deutschen Migrantenszene) oder Hugo Wiener stammen, macht kaum einen Unterschied.

"Im arabischen Raum", sagt der Derwisch, "war Geschichtenerzählen ein echter Beruf." Und das Verpacken von Denkanstößen, Spott und Kritik in scheinbar "leichte" Kost macht daraus Kunst – überall: Ein guter Erzähler folgt einer Idee. Er hat einen Traum. Aleksanyans Traum war immer das Theater. Der armenische Türke wuchs in Istanbul auf, besuchte dort das österreichische Gymnasium – und wurde als Kind ins Theater mitgenommen. Nach der Matura ging er nach Wien, ans Reinhardseminar. Aber dort war der Türke genauso ein Exot wie in der "Gastarbeiter"-szene: Billigarbeitskräfte stammen oft aus bildungs- und hochkulturfernen Schichten, die mit Aleksanyan und seinem Beruf nicht viel anfangen konnten. Denn: "Theater erreicht de facto nur die Oberschicht. Die Mehrheit der Menschen bleibt auf der Strecke."

Integration per Theater

Aleksanyan beschloss, per Theater Integrationsarbeit zu betreiben: Er gründete 1988 eine türkischsprachige Theatergruppe und zog durch die Stadt. Freilich gab es Widerstände der Zielgruppe: "Anfangs haben sie gesagt: Was willst du überhaupt von uns? Aber wir haben sie nicht überfordert, sondern leichte Kost geboten. Langsam sind die Vorbehalte verschwunden." Und als der Theatermann aus organisatorischen Gründen sesshaft wurde, kamen die Migranten ins Theater. "Mit Kindern und Babys. Zehn Jahre lang."

Nur überforderte die niederschwellige Kulturarbeit andere: Die amtlichen Theatergeldverwalter legten Aleksanyan nahe, "lieber Hochkultur zu machen. Sonst gibt es kein Geld." Aber die, sagt der Derwisch, war nie seine Mission. Oder sein Traum. Egal ob er für Migranten oder "echte Wiener" inszeniere: "Edutainment ist für mich kein Schimpfwort – es geht um das Ziel dahinter." Und wenn Aleksanyan nun wieder in Pluderhosen auf der Bühne steht und das Publikum auf Sitzpolstern Tee trinkt, könne man ihm "natürlich Ethnokitsch vorwerfen – aber wenn es hilft, Vorurteile zu unterlaufen, habe ich damit kein Problem". (Thomas Rottenberg/DER STANDARD – Printausgabe, 13.11.2007)