Schleichende, ansteckende Mutation zum "Land der Rieseninsekten".

Foto: Club Real
Wien – Mit dem gemeinsamen Sprung über einen Besen (Andreas Mailath-Pokorny hielt dabei die Intendanten Haiko Pfost und Thomas Frank fest an den Händen) wurde am Wochenende während einer zweitägigen Party das neue Koproduktionshaus brut eröffnet. Er werde, versprach der Kulturstadtrat mit hochgekrempelten Ärmeln und von napoleonischer Garde (Aktion der Superamas) beäugt, "weiter alles tun, was ich tun kann, um euch zu unterstützen".

Kolportierte 1000 Besucher füllten Freitag und Samstag die "Brutstätte" im Künstler- und Konzerthaus, rund 40 Performances, Konzerte, Aktionen – in fast aggressiver Ballung an parallel und wiederholt gezeigten Programmen wurde das Publikum mit Kostproben der zu erwartenden Saison nahezu zugeschüttet. Benjamin Verdonck (der gestern mit Wewilllivestorm abendfüllende Premiere hatte) projizierte ein Video am Vorplatz, Doris Uhlich (Samstag und Sonntag mit und im Künstlerhaus) zeigte eine Tanzarbeit vom "Stückwerk 07", und Barbara Kraus machte als 70er-Jahre-Retrofigur Johnny "ihre Lieblingsperformance" – in der sie die Zuseher nach ihrer Traurigkeit befragte und mit ihnen übte, wie man sich verhalten soll, wenn mal jemand "nicht so lieb ist, wie Johnny jetzt".

Das Vorhaben von Pfost und Frank, mit brut eine Theaterstätte zu schaffen, die zum Kontakteschaffen und Bleiben (Bar und Foyer) einlädt, scheint in den ersten Tagen vor allem von einer jungen, Event-hungrigen Clubkultur jedenfalls beglückt angenommen worden zu sein.

Im Horror-B-Movie

In einen Club, wenn auch einen, der wohl weniger zum Bleiben einlädt, führt auch die erste "reguläre" brut-Produktion Insektenbelustigung oder Im Land der Rieseninsekten. Ein Horror-B-Movie vom Club Real, den je acht Gäste in einem roten Kleinbus erleben. In diesem wird zunächst eine "Programmänderung" erklärt: Nein, nein, das sei kein Theater, der richtige Titel der Veranstaltung sei "Fantasy Shopping Bratislava", man führe nun eben in die Slowakei zum Einkaufen. Ein kurzer Stopp an der alten Tankstelle am Schwarzenbergplatz läutet den Horror-Trip ein: Die adrette Fahrerin kommt mit Insektenkopf zum Bus zurück, ein Straßenkehrer überwältigt das seltsame Wesen und kidnappt den Bus.

Die wilde Fahrt durch Wien wird nun mit veränderter Wahrnehmung erlebt, schleichend paranoid werden Gestalten (Menschen oder Insekten?) an vorbeizischenden Straßenecken geortet – Angst zu haben sei ein gutes Zeichen, meint der Insektenjäger, es sei das sichere Zeichen, dass man noch menschlich, noch nicht infiziert sei von dieser wie die Pest wütenden Mutationsepidemie. Eines der mutierten Wesen zeigt sich dann doch als stärker und entführt den Bus. Im "Insektenclub" wird man dann vor die Entscheidung gestellt: überlaufen oder sich verweigern. Mensch bleiben oder in die Sekte eintreten?

Die Gregor Samsas dieses Albtraums können sich für die Verkäferung immerhin noch selbst entscheiden. Wer nicht übertreten will, ist in der neuen Gesellschaft nicht erwünscht und wird sanft, aber nachdrücklich ausgesondert, auf die Straße geworfen – mal sehen, ob im Künstlerhaus noch was los ist ... (Isabella Hager /DER STANDARD, Printausgabe, 13.11.2007)