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Trotz aller Probleme ein Symbol der Hoffnung und eine der größten touristischen Attraktionen Südosteuropas: die nach der Zerstörung im Krieg wiedererrichtete Brücke der herzegowinischen Metropole Mostar.

Foto: AP /Amel Emric
Sarajewo/Belgrad - Denkt man heute an Bosnien, fällt einem zuerst das schrecklichste Massaker in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg ein: Auf dem Höhepunkt des Bürgerkrieges töteten im Juli 1995 serbische Streitkräfte in Srebrenica mehr als 7000 Muslime.

Kaum jemand erinnert sich dagegen an die Olympischen Winterspiele 1984 in Sarajewo. Die multiethnische Stadt wurde herausgeputzt, neue Hotels errichtet, die Infrastruktur ausgebaut, die Republik Bosnien im Vielvölkerstaat Jugoslawien erlebte einen Wirtschaftsboom.

Die Frage, die sich Historikern stellt, ist, was eigentlich schiefgegangen ist. Die Frage, mit der sich Europas Politiker befassen müssen ist, ob und wie das durch den Krieg ethnisch geteilte Bosnien wieder zu einem funktionsfähigen Staat zusammenwachsen kann.

Bosnien und Herzegowina ist ein vom Krieg traumatisiertes Land. Nach zwölf Jahren Frieden sind die Kriegsbilder keineswegs verblasst. Jeder einzelner Einwohner ist persönlich vom Krieg betroffen. Mehr als 100.000 Menschen sind getötet worden. Unzählige Rachezüge, Gemetzel, Hinrichtungen, ethnische Säuberungen quer durch die drei Völker Bosniens sind die Ursache für das tief verwurzelte Misstrauen zwischen Bosniaken, Serben und Kroaten. Von Vergangenheitsbewältigung kann noch keine Rede sein.

Ursache der permanenten politischen Spannung ist ausgerechnet das Friedensabkommen von Dayton, das im November 1995 den Krieg beendete. Die Fragen von Schuld und Sühne, Sieger und Verlierer wurden dabei übersprungen. Das Abkommen hat Bosnien auf zwei Entitäten - die bosniakisch-kroatische Föderation und die serbische "Republika Srpska" (RS) - aufgeteilt. Mit eigenem Parlament, Regierung, Präsidenten und Polizei genießen die Entitäten einen hohen Grad an Eigenstaatlichkeit. Dagegen waren gesamtbosnische Institutionen schwach, weil alle Entscheidungen durch Konsens aller drei Völker getroffen werden mussten.

Lähmender Konsens

Mit einem so umständlichen politischen System sind Beitrittsverhandlungen mit der EU kaum vorstellbar. Der Versuch des internationalen Bosnien-Beauftragten Miroslav Lajcák, die Polizei zu zentralisieren (eine von Brüssel gestellte Bedingung), ist an der Weigerung der Serbenrepublik gescheitert. Lajcák erließ danach Gesetze, die den Konsens in gesamtbosnischen Institutionen abschaffen, Bestimmungen durch einfache Mehrheit vorsehen und sie dadurch effizienter machen sollen, und löste die größte politische Krise im Nachkriegsbosnien aus.

Bosniaken und Kroaten begrüßten Lajcáks Reformen, hinter die sich nachdrücklich die EU und USA stellten, Serben jedoch sahen die Staatlichkeit der RS bedroht und das Daytoner Abkommen verletzt. Der bosnische Premier, der Serbe Nikola Spiric, trat aus Protest zurück. Belgrad - als einer der Garanten von Dayton - forderte den Rücktritt von Lajcák und setzte sich heftiger Kritik des Westens aus. Moskau stellte sich entschlossen hinter die Serben.

Der Hohe Vertreter für Bosnien darf zwar das Abkommen von Dayton nicht ändern, ist jedoch maßgebend für dessen Auslegung. Er hat das Recht, Gesetze zu erlassen und demokratisch gewählte Politiker abzulösen, was den demokratischen Prozess im Allgemeinen äußerst fragwürdig erscheinen lässt. Wenn Lajcák von seinen Befugnissen in diesem Fall Gebrauch macht, dürfte die Krise durch massenhaften Rücktritt von Serben aus bosnischen Institutionen und Interventionen von Belgrad und Moskau eskalieren. Ein Referendum über die Unabhängigkeit der RS für denn Fall, dass die Albaner im Kosovo unilateral die Selbstständigkeit verkünden sollten, liegt in der Luft. Wenn Lajcák aber nachgibt, bleibt der europäische Weg Bosniens blockiert.

Die Krise zeigt, dass man sich zwölf Jahre nach Kriegsende nicht weit von den Ursachen der ethnischen Feindschaft entfernt hat: Die Bosniaken wollen einen Zentralstaat, die Serben beharren auf ihrer Souveränität im Rahmen Bosniens. Doch zeigt das Verhalten der Kroaten, dass die europäische Perspektive wirkt: Durch den EU-Beitrittsprozess des "Mutterlandes" beeinflusst, halten sich die Kroaten als das kleinste der drei Völker in Bosnien diesmal zurück. (Andrej Ivanji/DER STANDARD, Printausgabe, 13.11.2007)