Wien – Wie heißt es doch so schön: Man soll nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Aber irgendwann kommt man dann doch in Versuchung, sagen wir, die erste Symphonie von George Bizet gegen Franz Schuberts Symphonie Nr. 3 (D-Dur) gegenzurechnen.

Immerhin hat sich der 17-jährige Bizet in seinem symphonischen Geniestreich auch an Franz Schubert orientiert, und immerhin haben beide Werke erst kürzlich die Wiener Philharmoniker gespielt. Bizet unter George Prêtre am vergangenen Wochenende im Musikverein, und Ende Oktober Franz Schubert unter Daniel Harding im Konzerthaus. Und doch liegen Welten zwischen diesen beiden Interpretationen. Welche Grazie, welche Leichtigkeit bei Bizet und welche charmelose Hast bei Schubert. Auch wenn die Philharmoniker bei Bizet in erklecklicher Dichte antraten, war diese, was das Tempo anbelangt, ja auch nicht gerade lahme Wiedergabe von einer ganz besonderen freudigen Helligkeit.

Diese wird freilich durch George Prêtre generiert, der in seinen ans Orchester gegebenen Signalen je nach Bedarf zwischen gestischem Minimalismus und hellwachem Esprit auf gleichbleibend eindringliche Weise zu wechseln weiß. Man könnte meinen, dass es ihm Vergnügen bereitet, den Philharmonikern zuzuhören. Bei Bizet jedenfalls. In Gustav Mahlers erster Symphonie gaben wohl nur die das Werk mit romantischer Innigkeit erfüllenden Streicher zu solchem Hörvergnügen Anlass. Die Blechbläser hingegen hatten angefangen von den Outdoor-Trompeten bis zu den Hörnern nicht ihren allerbesten Tag. Was aber wegen des hedonistischen Charakters der Wiedergabe nur wenig auffiel.

Gerne hätte man auch das Hedonismus-Potenzial in Tschaikowskys Pathétique, seiner 6. Symphonie in h-Moll, noch reichlicher eingelagert ist als in Mahlers Erster, so richtig ausgekostet. Aber diesbezüglich wurde dem zur Hingabe bereiten Musikvereins-Abonnenten sowohl durch Zubin Mehta als auch durch das von ihm geleitete Orchester des Maggio Musicale in Florenz ein kräftiger Strich durch die Rechnung gemacht.

Luxuriöse Fülle

Der Grund dafür liegt allerdings keinesfalls in einer allfälligen Klangaskese, der sich der Dirigent in seinen reiferen Jahren unterworfen haben könnte. Vielmehr ist wohl das Gegenteil der Fall. Mehta ließ das durchwegs von ausgezeichneten Instrumentalisten in luxuriöser Fülle besetzte Gastorchester ungehemmt in voller Lautstärke aufspielen, als ginge es um die Ouvertüre von Giuseppe Verdis Oper Les vêpres siciliennes, mit der die Florentiner schon einleitend gepunktet haben. Doch zwischen Verdi und Tschaikowsky ist ein Unterschied. Und, wie einleitend erwähnt, soll man nicht nur Äpfel nicht mit Birnen vergleichen, sondern man soll schon gar nicht irgendeinem musikalischen Rassismus huldigen.

Womit nicht gesagt sein soll, dass nur Russen oder nur Slawen Tschaikowsky spielen dürfen, doch ein bisschen Schwermut, ein bisschen Sentiment kann man als erfahrener Musiker, wenn schon nicht empfinden, so immerhin heucheln.

Hier wurde nicht empfunden und nicht geheuchelt. Die Noten wurden auf brillante Weise lärmend veräußerlicht. Dass sich dieses Orchester auch in Zurückhaltung üben kann, bewies es in Mozarts Sinfonia concertante für Oboe, Klarinette, Horn, Fagott und Orchester Es-Dur, KV 297b, in der Marco Salvatori, Riccardo Crocilla, Gianfredo Dini, Stefano Vicentini als Solisten glänzten. (Peter Vujica /DER STANDARD, Printausgabe, 13.11.2007)