Europa hat eigentlich weniger für die Modernisierung in Bosnien getan als seinerzeit Österreich-Ungarn. Investitionen wären der Schlüssel für Befriedung und Fortschritt der bosnischen Gesellschaft.

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Der Wirtschaftsprofessor Miodrag Zec plädiert im Gespräch mit Andrej Ivanji für eine noch stärkere Dezentralisierung und sieht in der Schaffung von Arbeitsplätzen den Schlüssel für eine nachhaltige Befriedung.

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STANDARD: Warum kommt die Modernisierung Bosniens so langsam voran?

Zec: Ein großes Problem nicht nur in Bosnien, sondern in der ganzen Region ist, dass die Politik an sich wie ein selbstständiger und profitabler Wirtschaftszweig funktioniert. Für viele Politiker ist es wichtiger, das eigene Amt und somit die eigenen Einkommensquellen zu beschützen, als sich tatsächlich zu bemühen, günstige marktwirtschaftliche Voraussetzungen und ein stabiles politisches Klima zu schaffen. Das gilt übrigens auch für die unzähligen Vertreter der internationalen Gemeinschaft in der Region. Das ist wie ein ewiges politisches Consulting, das sich im Kreis dreht.

Es gibt da einen alten Witz. Der Sohn eines Anwalts sagt zum Vater: "Papa, ich habe dieses 20 Jahre alte Gerichtsverfahren endlich erfolgreich abgeschlossen." Der Vater antwortet: "Mein lieber Sohn, glaubst du, dass ich deine Ausbildung hätte bezahlen können, wenn ich diesen Prozess in fünf Tagen beendet hätte?"

STANDARD: Wie schätzen Sie die wirtschaftliche Entwicklung in Bosnien nach dem Krieg ein?

Zec: In Bosnien gibt es kaum neue ausländische langfristige Greenfield-Investitionen, neue Fabriken werden nicht gebaut. Das meiste dreht sich um Handel, Vermittlung, Bauwesen, Ausbau der Infrastruktur. Und natürlich interessieren sich alle für die Privatisierung der großen Systeme wie Telekom oder Elektrowirtschaft, den Bau von Wasserkraftwerken oder für Banken und Versicherungen.

Ich persönlich bin enttäuscht, wie wenig Europa für die Emanzipation und Modernisierung in Bosnien getan hat, eigentlich weniger als seinerzeit Österreich-Ungarn. Nach dem Krieg hätten neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollen - neue Investitionen wären der Schlüssel für die Befriedung und den Fortschritt der bosnischen Gesellschaft. Typisch für die Wirtschaftslage ist, dass fast alle meine Studenten in Bosnien Zöllner, Finanzpolizisten oder Broker sein wollen.

STANDARD: Ist das nicht zu einfach, die internationale Gemeinschaft für die schleppende Modernisierung Bosniens verantwortlich zu machen?

Zec: Das ist eben das Problem der Regelungen in Bosnien: dass man nicht weiß, wer wofür verantwortlich ist. Es wäre viel ehrlicher von der EU und den USA, eine offene Zwangsverwaltung in Bosnien einzuführen, als Demokratie vorzutäuschen. So wüsste man wenigstens, dass die internationale Gemeinschaft die Verantwortung für Bosnien übernommen hat. So wie es jetzt ist, zahlen die Bürger Bosniens für demokratisch gewählte Volksvertreter und Institutionen, die de facto keine Macht und Souveränität haben und die der internationale Bosnien-Beauftragte jederzeit ablösen kann. In Bosnien ist Demokratie eine Farce.

STANDARD: Wächst Bosnien wirtschaftlich zusammen?

Zec: Im Gegensatz zur Politik, kann man schon von einem wirtschaftlichen Zusammenwachsen Bosniens reden. Geschäfte wurden ja selbst während des Krieges über die Frontlinie gemacht. Politisch gesehen ist Bosnien aber von Natur aus ein föderaler Staat, auf den sich die drei Völker geeinigt haben. Es ist ein Fehler der EU, Bosnien künstlich zentralisieren zu wollen - das wird einfach nicht funktionieren. Wirtschaftlich gesehen würde das auch nichts bringen. Ein viel größeres Problem ist, dass Bosnien keine Exportprodukte für den europäischen Markt hat.

STANDARD: Warum soll Bosnien nicht mehr zentralisiert werden? Würde das nicht den europäischen Integrationsprozess erleichtern?

Zec: Nein. Im Gegenteil, Bosnien sollte noch mehr dezentralisiert, kostspielige staatliche Institutionen sollten verringert und billiger gemacht werden. Selbst zu Titos Zei- ten gab es ein ethnisch bestimmtes Rotationsprinzip, und nach dem Krieg haben sich die Völker noch mehr formiert. Das ist die Realität. Eine lockere Föderation mit einfacher, billiger Verwaltung wäre das beste Modell für Bosnien und Herzegowina.

STANDARD: Wo liegen die wirtschaftlichen Potenziale Bosniens?

Zec: In der Holz- und der Textilindustrie zum Beispiel. Wälder gibt es ja ausreichend und auch qualifizierte Arbeitskräfte. Schon eine einzige größere Investition in diesem Bereich könnte direkt oder indirekt bis zu 100.000 neue Jobs schaffen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.11.2007)