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Zur Person

Der deutsche Politikwissenschafter Tobias Pflüger kandidierte bei der Europawahl 2004 als Parteiloser für die Linkspartei, für die er anschließend als einer von fünf Abgeordneten ins Europaparlament einzog. Seine Arbeitsschwerpunkte umfasssen neben Außen- und Militärpolitik der EU unter anderem EU-Vertrag, europäische Asylpolitik und Anti-Atompolitik.

Foto: AP /Alessandro Fucarini

Wien - Die EU-Kommission will mit einer Blue Card hochqualifizierte Arbeitskräfte aus Drittländern in die Union holen. Zugleich testet die Kommission mit einem Pilotprojekt in Mali eine neue Strategie zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung von AfrikanerInnen. Sie setzt dabei vor Ort auf Arbeitsvermittlung, um legale Erwerbsmöglichkeiten in der Union zu schaffen. Dass mit dieser Maßnahme die Menschen in prekäre Arbeitsverhältnisse geschickt werden, befürchtet hingegen der deutsche EU-Parlamentarier Tobias Pflüger. Im Interview kritisiert der Abgeordnete der Partei „Die Linke“ besonders die Grundlogik der EU-Migrationspolitik: sie basiere auf „ausgewählter Einwanderung“ und dem „Wirtschaftsfaktor Mensch“.

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derStandard.at: Wie lautet die Position der Partei „Die Linken“ im EU-Parlament zur „Blue Card“?

Tobias Pflüger: Wir haben noch keinen offiziellen Beschluss dazu gefasst. Ich gehe davon aus, dass er so ähnlich sein wird wie die Positionen der Partei in Deutschland. Diese stellt sich gegen die „ausgewählte Einwanderung“ von höher Qualifizierten. Sie setzt sich dafür ein, Einwanderung grundsätzlich zu ermöglichen - und vor allem für Menschen in Not Hilfe zu organisieren.

derStandard.at: Reiht man sich mit dieser Ablehnung nicht auch in die Linie der deutschen und österreichischen Regierungen ein?

Pflüger: Nein. Deren Positionen sind überhaupt nicht in unserem Sinne. Im Grunde gibt die EU-Kommission durch dieses Blue-Card-Konzept zu, dass Einwanderung notwendig ist. Auch wenn es nach wie vor Menschen gibt, die behaupten, das sei nicht notwendig. Doch mit der Blue Card ist ein zentraler Punkt eindeutig: es braucht Zuwanderung!

Wir unterstützen jedoch nicht, dass durch die Blue Card ein paar Rosinen aus der Gruppe der EinwanderInnen rausgepickt werden. Nach dem Motto: „Die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten ins Töpfchen“. Mit einem linken Ansatz kann man dieses Elite-Konzept nicht akzeptieren. Die Menschen müssen einwandern und Arbeit suchen dürfen, sie müssen Asyl bekommen, wenn sie in Not sind.

derStandard.at: Ein Plan der EU-Kommission sieht vor, auch weniger qualifizierte Menschen aus Afrika als Saisoniers nach Europa zu holen. Wie stehen Sie zu diesem Ansatz in der Migrationspolitik?

Pflüger: Positiv ist, dass man sich überhaupt den Kopf darüber zerbricht, wie man in Zukunft mit Flüchtlingen aus Afrika umgeht. Doch wie das geschieht, gefällt mir nicht: Man schickt die Menschen im Grunde genommen in relativ prekäre Arbeitsverhältnisse. Es kann nicht sein, dass sie nur vorübergehend angestellt werden, zum Beispiel als Erntehelfer, um sie dann wieder nach Hause zu schicken.

Die Grundidee dieses Plans kenne ich auch aus dem süddeutschen Raum. Dort haben früher viele Erntehelfer aus Polen gearbeitet, bis festgeschrieben wurde, dass sie ganz normal versichert werden müssen. Plötzlich waren sie zu "teuer" und dadurch nicht mehr so richtig interessant. Nun geht man zu den "nächst billigen" Menschengruppen über. Soziale Standards werden so umgangen. Das darf nicht als Grundkonzept dahinter stehen!

derStandard.at: Es gibt bereits ein Pilotprojekt in Mali, mit den Partnern Frankreich und Spanien. Gibt es schon Erfahrungen mit dieser „Testphase“?

Pflüger: Von einer Evaluierung habe ich noch nichts gehört. Der spannende Punkt dabei wäre, ob es auch irgendwelche sozialen Absicherungen für diese Zeitarbeitskräfte gibt. Sollte das nicht der Fall sein, würde sich die EU-Kommission zu Handlangern von genau denjenigen machen, die solche prekären Arbeitsverhältnisse verursachen.

derStandard.at: Zusätzlich befürchten Kritiker dieser „Gastarbeiterregelung“ eine Abwanderung von Fachkräften aus Afrika.

Pflüger: Ja. Das ist ein wichtiger Punkt. Es ist anzunehmen, dass gerade Ärzte und Krankenschwestern nach Europa kommen dürfen, obwohl in Afrika ein dringender Bedarf an diesen Fachkräften besteht.

derStandard.at: Als wichtigen Teil dieser „afrikanischen Gastarbeiterpolitik“ betont die Kommission auch die Rücküberweisungen der MigrantInnen an ihre Familien. Die Kommission will eine eigene Bank dafür einrichten - Entwicklungszusammenarbeit neu?

Pflüger: Bei diesen Überweisungen ist immens viel Geld im Spiel. Im Grunde genommen will man aber nur bei den Transfers mitnaschen dürfen. Das hilft in erster Linie denjenigen, über die diese Zahlungen laufen, also die Banken oder Geldüberweisungsfirmen. Und das passt genau in die Gesamtlogik, die sich im Umgang mit diesem ganzen Thema auftut.

derStandard.at: Die lautet?

Pflüger: Es dominieren wirtschaftliche Nutzungskriterien. Dass dahinter Menschen stehen, dass es dabei um das Leben der Einzelnen geht, spielt eine sehr, sehr geringe Rolle. Geht man mit dieser Logik an die Debatte heran, ist klar, welche politischen Initiativen dabei herauskommen: man macht damit den Menschen ausschließlich zu einem Wirtschaftsfaktor. (hag/derStandard.at, 15.11.2007)