Christian Thielemann, dirigierender Jungstar mit dem Ruf des Konservativen, steht am 7. Oktober erstmals am Pult der Wiener Philharmoniker. Standard-Mitarbeiter Alexander Dick sprach mit ihm über Bayreuth und das zeitgenössische Musiktheater im Allgemeinen. Bayreuth - Erfolgsmeldungen vom Grünen Hügel sind rar geworden. Bei Christian Thielemann waren sich alle einig. Der Bayreuth-Debütant hat Wolfgang Wagners hausbackene Meistersinger-Inszenierung zwei Jahre vor ihrem wohlverdienten Ruhestand noch einmal zum Ereignis werden lassen. Einhellig feierten die Medien seinen Einstand am Pult des Festspielorchesters als das Bayreuther Ereignis der Saison. Standard: Nun ist Ihr Bayreuth-Debüt ein überwältigender Erfolg geworden. Hatten Sie Bedenken, dass es anders kommen könnte? Thielemann: Ja, wegen des Orchestergrabens, vor dem mich alle gewarnt haben. Ich weiß noch aus meiner Assistentenzeit bei Barenboim, wie Horst Stein damals in Bayreuth die Meistersinger übernahm und zu mir sagte: "Das ist das fieseste Stück hier." Irgendwie war es dann für mich nicht so schlimm, und das führe ich einfach darauf zurück, dass man als Kapellmeister an verschiedenen Theatern dirigiert hat und die schrägsten akustischen Verhältnisse kennen gelernt hat. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb Leute, die nicht diese deutsche Kapellmeisterkarriere gemacht haben, sich damit schwerer tun. Man ist hier sehr auf seine Mitarbeiter angewiesen. Was glauben Sie, was das für ein Teamwork ist! Mit diesem Geist und mit der entsprechenden Portion Respekt bin ich hierher gekommen. Den braucht man an so einem Ort. Ein Meistersinger-Abend ist nun mal anstrengend. Man lebt einen Tag schon darauf hin, hat seinen ganz festen Kanon vor der Aufführung. Keine Ablenkung, keine Besprechung, keine Reise am Tag der Aufführung. Und Bayreuth nur mitzunehmen als Sprosse in der Karriereleiter - sage ich jetzt ganz frech: Dafür gibt’s nicht genug Geld. Man ist nicht hier, um Geld zu verdienen. Standard: Sie stehen im Unterschied zu vielen Ihrer Kollegen fest zum Titel Kapellmeister. Weshalb? Und warum verschmähen ihn andere eher? Thielemann: Das kommt wohl eher aus dem Englischen, wo es dann heißt: Oh, he is only a Kapellmeister, an uninteresting conductor. Kapellmeister heißt dort langweilig. Nun finde ich aber die Berufsbezeichnung Dirigent so schrecklich. Das klingt so wie Ministerialdirigent. Man sagt ja auch Geiger und nicht Violinist. Mein Beruf hat etwas zu tun mit Spielanweisungen. Ich gebe sie dem Orchester: zu laut, zu leise, zu kurz, zu tief. Bloß nicht labern. Orchestermusiker wollen keine musikwissenschaftlichen Vorträge, sondern lediglich Spielanweisungen. Standard: In Bayreuth steht offenbar eine längere Ära der Kapellmeisterei mit Christian Thielemann bevor. 2002 dirigieren Sie Tannhäuser. War der Regisseur Ihr Wunschkandidat und wie weit ist der Kapellmeister Thielemann an seiner Inszenierung interessiert und mit beteiligt? Thielemann: Sehr. Ich habe Philippe Arlaud vorgeschlagen, habe mich jedenfalls für ihn stark gemacht. Wir werden uns jetzt gleich treffen und alles detailliert besprechen. Wichtiger ist, dass man die Probleme vorher bespricht. Mir ist es wichtig, dass gewisse musikalische Gegebenheiten eingehalten werden: bei Generalpausen Spannungspausen - kein Geräusch auf der Bühne, keine Bewegung; eine Ouvertüre soll auch wie eine solche gespielt werden: nämlich bei geschlossenem Vorhang. Ich halte nichts von einer bebilderten Ouvertüre, weil ich meine, der Regisseur hat vier Stunden Zeit an dem Abend. Muss er dem Dirigenten jetzt auch noch die zehn Minuten nehmen? Wir spielen Tannhäuser hier in der Dresdener Fassung. Und diese herrliche Ouvertüre möchte ich auch gerne konzentriert bringen. Standard: Allerdings beobachtet man im Theateralltag immer häufiger, dass man im Publikum zu reden beginnt, sobald nur Musik erklingt . . . ohne Bilder Thielemann: Ja, aber man muss auch versuchen, die Leute zu erziehen. Das ist diese Videoclip-Kultur, die einem die Augen quer gehen lässt und einen total meschugge macht. Ich frage mich nur immer: Warum können die Leute keine Stille mehr ertragen? Standard: Ihre klaren Forderungen an die Regie subsummiert: Sind es diese, die immer dazu führen, dass es heißt: Der Thielemann - das ist ein Konservativer? Thielemann: Das Bild hat sich schon sehr verschoben. Wenn man heute auf das Handwerkliche achtet, heißt es: Das ist ein Konservativer. Ich empfinde das als gar keinen politischen Begriff . . . Standard: . . . konservativ heißt eigentlich bewahrend. Thielemann: Eben. Ich finde, das Gute muss bewahrt werden und das Neue dazukommen. Aber das heißt nicht, dass man das Alte alles über Bord wirft. Ich gehöre nicht zu denen, die meinen, sie können das Rad neu erfinden. Ich wehre mich zum Beispiel immer gegen politische Dinge auf der Bühne. Dann gelten Sie schon als konservativ, wenn Sie sagen, Sie wollen da keine Politik. Ich kann das einfach nicht mehr ertragen. Die Leute sollen zuhören und in die Partitur schauen. Aber es ist heute so, dass man guckt: Wo ist noch ein Skandal möglich? Sie sehen es doch in diesem Jahr in Bayreuth. Politisch scheint der Stoff ausgegangen zu sein, jetzt sind wir also bei den Auseinandersetzungen zwischen Sängern und Festspieldirektion. Aber das auf einem richtig widerlichen Niveau. Diese Updates auf den ersten Seiten, wer gegen wen - das finde ich traurig (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 19./20.8. 2000)