Falscher Leberkäse und der Almdudler-Klau: Andrea Maria Dusl erklärt im neuen Buch die "Österreichische Oberfläche"
Redaktion
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Bücher über Österreich sind üblicherweise nichts für Bohemiens. Man sieht sie im Donauland-Katalog, im großmütterlichen Nachlass, in der Flohmarkt-Wühlkiste, aber nicht im Designregal der Großstadt-Individualisten. Das könnte sich nun ändern: Mit ihrer essayistischen Bestandsaufnahme "Die österreichische Oberfläche" hat Andrea Maria Dusl das Genre der gebundenen National-Enzyklopädie aus der konservativen Lurchecke geholt. Aus Schnitzelland wird ein Zoo, und Dusl erklärt ihn uns. Habitat und Fressgewohnheiten, Brunft und Kommunikation, Leitvieh und Fischschwarm, Jagd und Beute: Was man bestens kennt und längst verstanden glaubt, wird bei Dusl als Irrtum aufgeklärt - oder neu erfunden.
Wien und der Innkanal
Wie Linz und Belgrad liege auch Wien in Wahrheit am Inn, was auch erkläre, warum der erste Gemeindebezirk Innenstadt heißt. Im Leberkäse ist weder Leber noch Käse, der Almdudler ist gar keine Kräuterlimonade, und das Wiener Schnitzel kommt genauso wenig aus Mailand wie Österreichs Nationalflagge aus Akko. Denn fest steht: Ein blutgetränktes, gurtbefreites Schlachthemd ist jedenfalls nicht rot-weiß-rot, sondern, wenn schon, dann "rindenschnitzelbraun – türmattengrau – rindenschnitzelbraun" gefärbt.
So wird auch Leopold Figls berühmte, gerne abgespielte Tränenpresser-Rede als medialer Fake geoutet: Dieser Top-Hit der österreichischen Polit-Rhetorik mit dem Titel "Ich kann Euch zu Weihnachten nichts geben" sei nämlich kein Original-Dokument, sondern eine 1965 aufgezeichnete Show-Einlage zur Feier von "Zwanzig Jahre Kriegsende", und Figls Krächz-Stimme sei kein Symptom einer vermeintlich schlechten Tonqualität, sondern einer akuten Lungenerkrankung, die den Ex-Bundeskanzler schließlich das Leben kosten sollte.
Was niemand wollte
Dennoch: Figls Appell "Glaubt an dieses Österreich!" wirkte auch zwanzig Jahre danach: Vielleicht lag es daran, dass die zweite Republik nun schon länger überlebt hatte als ihre Vorgängerin, die 1934 im austrofaschistischen Regime Dollfuß' aufgegangen war. Das Land, das auch nach dem Zweiten Weltkrieg keiner wirklich wollte, auch wenn es niemand zu sagen wagte, war schleichend zur Tatsache geworden.
Genau hier hakt Dusl ein: Österreich sei "eine gut gemeinte Erfindung", befindet die Bühnenbildnerin. Dem Gottgegebenen, das die ÖsterreicherInnen gerne sämtlichen Aspekten des täglichen Lebens und politischen Wirkens zuschreiben möchten, lässt sie in ihren Essays keine Chance. Für alles gibt es Erklärungen, und meistens viel zu viele. Das gilt fürs Erdäpfelsalat-Rezept wie für das Glas Wasser zum Kaffee. Wer "die Österreicher" kennen lernen will, müsse aber ohnehin ins Ausland fahren, meint Dusl: Nirgendwo seien die Österreicher österreichischer als in einem rückkehrenden Urlaubsflieger. So wird verständlich, warum in den Gängen der Beamtenrepublik schon ab Mitte Juni mit einem "Schönen Urlaub" gegrüßt wird: Ein Land sucht sich selbst – und Tausend Österreich-Bände können ihm nicht helfen. (Maria Sterkl)
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