Der Rücktritt von Franz Müntefering sei ein großer Verlust für die SPD und eine Belastung für die Koalition, sagt Forsa-Chef Manfred Güllner. Er erklärt Birgit Baumann auch, warum es Kurt Beck jetzt nicht automatisch leichter habe, seine Politik durchzusetzen.

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STANDARD: Müntefering geht. Hat SPD-Chef Kurt Beck nun freie Fahrt?

Güllner: Beck ist schwer einschätzbar. Er ist kein Stratege, sondern fällt immer wieder durch überstürzte Reaktionen auf. Es ist für ihn auf jeden Fall besser, nicht in das Kabinett in Berlin einzutreten, weil er dort ja der Kabinettsdisziplin unterworfen ist. Er müsste unter Kanzlerin Angela Merkel arbeiten und wäre nicht auf gleicher Augenhöhe mit ihr. Und in Rheinland-Pfalz, wo er mit absoluter Mehrheit als Ministerpräsident regiert, ist er ja auch wer.

STANDARD: Wenn Müntefering weg ist, kann Beck aber doch besser seine „linke“ Politik durchsetzen. Ist das das endgültige Aus für Ex-Kanzler Gerhard Schröders Reformagenda 2010?

Güllner: Das muss nicht so sein. Man darf nicht vergessen, im Kabinett sitzen auch noch Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Finanzminister Peer Steinbrück. Die beiden haben sich zwar im Streit zwischen Beck und Müntefering um mehr Arbeitslosengeld für Ältere nicht so stark artikuliert. Doch sie werden schon Acht geben, dass Schröders Erbe nicht verspielt wird. Und es gibt auch in der Bundestagsfraktion massiven Widerstand gegen Becks Kurs.

STANDARD: Ist der Rücktritt Münteferings mit dem spektakulären Abgang von Oskar Lafontaine als SPD-Chef und Finanzminister im März 1999 zu vergleichen?

Güllner: Nein. Der Rücktritt Lafontaines war für die SPD etwas Positives, weil dadurch Klarheit geschaffen wurde. Kanzler Gerhard Schröder konnte endlich sein Regierungsprogramm durchsetzen und politisch loslegen. Außerdem war Lafontaine zu dieser Zeit schon sehr negativ behaftet. In der jetzigen Situation der SPD ist es aber genau umgekehrt.

STANDARD: Münteferings Rückzug ist also ein Verlust für die SPD?

Güllner: Beck wird zwar im Stillen triumphieren, weil die beiden nicht miteinander konnten. Aber für die SPD ist es kein guter Tag. Sie hängt sehr an Müntefering, das hat man ja auch beim Parteitag im Oktober gesehen. Dass Beck bei seiner Wahl 95 Prozent bekam, war ein Zeichen kollektiver Hilflosigkeit – und nicht Signal dafür, dass die Partei geschlossen hinter ihm steht. Über Beck stöhnt die SPD öfters, Müntefering aber jubelte sie nach seiner Rede zu.

STANDARD: Müntefering war ja nach der Abwahl von Rot-Grün gemeinsam mit Merkel der Architekt der großen Koalition. Hält diese unter den veränderten Umständen bis zur nächsten Bundestagswahl 2009 durch?

Güllner: Die große Koalition ist brüchiger geworden. Das kommt Merkel zugute, die ja eiskalt ist. Sie braucht nur dazusitzen und zu warten, bis die Umfragewerte für die SPD noch weiter Richtung 20 Prozent sacken. Dann wird sie die Koalition aufgeben und kann mit ihrem Wunschpartner FDP koalieren. Sie hat das Heft des Handelns in der Hand, nicht die SPD. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.11.2007)