Biochemikerin Renée Schroeder kritisiert die Evaluierungsmethoden: "Frauen werden oft für unangenehme administrative Tätigkeiten herangezogen, über die man bei der Qualitätsfeststellung dann einfach hinwegsieht."

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Die Qualitätskriterien, nach denen heute wissenschaftliche Exzellenz evaluiert wird, seien nicht geschlechtsneutral, sondern würden Männer bevorzugen, kritisiert die Wiener Biochemikerin Renée Schroeder im Gespräch mit Andreas Feiertag.

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Der gegenüber Männern geringere Anteil von Frauen in Wissenschaft und Forschung gilt schon lange als Problem. Die aktuelle Diskussion um die Bewertungsverfahren von Exzellenz zeigt neue Aspekte auf. Untersuchungen über die Anwendung der gängigen Methoden und Kriterien für das Messen und Bewerten von Exzellenz weisen darauf hin, dass diese nicht geschlechtsneutral sind. Gestern, Dienstag, fand an der Akademie der Wissenschaften das Symposium "Gender und Exzellenz" statt. Eine der Vortragenden war die Wiener Biochemikerin Renée Schroeder.

DER STANDARD: Wenn ich mir die Liste der Vortragenden ansehe, dann finde ich sehr viele Männer. Ist das ein Zeichen?

Schroeder: Na ja, also die Keynote sprach immerhin Sheila Jasanoff, die erste Frau in der langen Geschichte der Harvard University, die dieser Einrichtung vorsteht. Aber ansonsten, was soll ich sagen? Das ist ja gerade das Problem, der entscheidende Punkt.

DER STANDARD: Sind Exzellenz und Gender tatsächlich so unglücklich miteinander verknüpft?

Schroeder: Ja sicher. Früher, als die Universität ein reiner Männerbetrieb war, gab es überhaupt keine Messkriterien oder Evaluationen hinsichtlich Qualifikation und Exzellenz, da hielt man das nicht für notwendig. Doch in dem Moment, in dem Frauen ins Spiel kamen, wurden neue Spielregeln aufgestellt und Kriterien erfunden, nach denen Qualifikation festgelegt wird - was ich für absolut richtig halte. Doch diese Kriterien erweisen sich, wie sich immer stärker zeigt, als problematisch, weil sie die wissenschaftliche Exzellenz sehr stark nach Quantitäten messen: Anzahl der Publikationen, Impaktfaktoren der Journale, Zitationszahlen und dergleichen.

Das sind zwar alles gewichtige Momente, aber sie sagen in Wahrheit nicht viel über Qualität, Nachhaltigkeit und Tiefe einer Forschung aus. Und es sind meistens jene Leute, die sich selbst für exzellent halten, die diese Definition vornehmen - deshalb wird dieser Begriff in Österreich auch so inflationär verwendet. Frauen machen Forschung sicher ähnlich wie Männer, aber die dazugehörenden Spielregeln, diese Machtinstrumente, die liegen Frauen nicht so. Frauen haben keine so große Lust, sich zu matchen, wie Männer. Daher ist es sehr problematisch, jene Messinstrumente für Qualität und Exzellenz, die von Männern ausgearbeitet wurden, auch auf Frauen anzuwenden.

DER STANDARD: Weibliche Qualitätskriterien kann ich aber auch nicht auf Männer anlegen. Gibt es geschlechtsneutrale Messinstrumente?

Schroeder: Ich glaube, derzeit noch nicht. Man braucht jedenfalls Messkriterien, die nachhaltiger sind und nicht nur mathematisch-quantitative Aspekte wie Drittmittel und Publikationen einbeziehen. Gerade Frauen verrichten an den Instituten zahlreiche Tätigkeiten, die bei den Evaluierungen nicht berücksichtigt werden. Frauen werden oft für unangenehme administrative Tätigkeiten herangezogen, über die man bei der Qualitätsfeststellung dann einfach hinwegsieht. Solche Dinge machen Männer nicht, weil sie ihnen nichts bringen.

DER STANDARD: Wer sagt das? Ihr Bauchgefühl, Ihre Vermutung?

Schroeder: Nein, nein, das können Sie eindeutig sehen, das können Sie auch evaluieren. Schauen Sie sich einmal einen Kongress an. Im Veranstaltungskomitee finden Sie vier Frauen und zwei Männer. Aber wer macht die ganze Arbeit? Eben! Und trotzdem stehen die Männer nicht als Ko-Organisatoren da, sondern als die großen Organisatoren. Das ist sehr oft so. Frauen müssen endlich lernen, sich zu wehren und keine Tätigkeiten zu machen, die Männer nicht machen wollen. Männer sind da viel geschickter, die rechnen da mehr, ob es ihnen nützt oder schadet. Ein weiteres Beispiel: Um die Bibliotheken an den Instituten kümmern sich vor allem Frauen. Ein total undankbarer Job und enorm zeitaufwändig. Aber diese Arbeit wird bei keiner Evaluierung berücksichtigt.

DER STANDARD: Wir zwei sind nicht die ersten, die über dieses Problem diskutieren. Seit Jahrzehnten wird es immer wieder thematisiert. Ändert sich was?

Schroeder: Was sich ändert, ist die Zahl der Frauen in den Naturwissenschaften, das kann ich zum Beispiel aus meinem Gebiet, der Molekularbiologie, sagen. Bei uns sind zwei Drittel, die promovieren, Frauen. Dann aber kommen die besonders für Frauen harten Jahre nach dem Studium, in denen dieses umgesetzt werden muss. In diesen 30er-Jahren kommt die Familiengründung dazu, wird trotzdem Mobilität verlangt. In dieser Phase fallen Frauen vielfach durch. Auch und vor allem bei der Förderung. Das sieht man ganz klar bei den "Start"-Preisen, die der FWF für den Nachwuchs vergibt.

Dieses Jahr waren Gott sei Dank von acht Preisträgern zwei Frauen. Aber zuvor waren von insgesamt 70 nur zwei Frauen, das ist natürlich eine Katastrophe. Aus dieser Tendenz heraus müsste es eigentlich noch schlechter werden, denn aus den "Start"-Preisträgern werden die künftigen Professoren. Dieser Umstand führt auch dazu, dass immer mehr Frauen als Freelancerinnen arbeiten müssen: Sie liefern zwar ausgezeichnete Arbeit, kriegen aber vom Institut keine Anstellung und müssen sich ihr Gehalt von sonst wo holen - oft genug aus Arbeiten, die nichts mit der Forschung zu tun haben. Männer hingegen haben öfters die sicheren Jobs, lassen sich von den Instituten bezahlen.

DER STANDARD: Ist dies nun ein österreichisches, deutschsprachiges, europäisches oder internationales Problem?

Schroeder: In den USA, in Skandinavien und Frankreich, also in Ländern, in denen es ausreichend leistbare Kinderbetreuungsplätze gibt und in denen auch die Männer sich um die eigenen Kinder kümmern, sieht die Situation ganz anders aus. In Österreich gesellt sich zu diesem Manko auch noch die mangelnde Akzeptanz für Frauen, die nicht nur Hausarbeit sondern Karriere machen wollen. Wir haben derzeit auf dem Campus geradezu einen Kinderboom. So weiß ich, wie unsere Frauen an dieser auch politisch gefärbten Situation leiden.

DER STANDARD: Und Sie glauben ernsthaft, dass dieses Symposium ein geeignetes Tool ist, diese Situation zu verändern?

Schroeder: Ja. Denn je mehr man über dieses Problem spricht, desto mehr werden die Leute sensibilisiert. Viele negieren es ja ganz einfach. Und auch wenn es nicht gleich so viel bringt, wie notwendig ist: Es ist besser, man tut etwas dagegen, als man steckt den Kopf in den Sand. Und natürlich muss auch jede und jeder, die das Problem erkennen, selbst etwas dagegen tun. Ich bemühe mich derzeit intensiv darum, einen Kindergarten für unseren Campus aufzustellen.

Und arbeite an einem Nachwuchsförderungsprogramm, das wir VIPS nennen, für Vienna International Postgraduate School, ein dreistufiges Programm für Männer und Frauen, das so gestaltet werden soll, dass keine spezifische Frauenförderung mehr notwendig ist. Denn das Ziel ist ja nicht, dass es noch mehr Frauenförderung gibt, sondern dass es keine Frauenförderung mehr braucht. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.11.2007)