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Die Eisenbahner streiken wieder. Der Grund: Die französische Regierung will tiefe Einschnitte im öffentlichen Dienst durchsetzen. Bereits vor knapp vier Wochen hatte ein Streik der Eisenbahner im ganzen Land den Verkehr lahmgelegt.

Foto: APA/EPA/Horacio Villalobos
In Frankreich hat Dienstagabend ein unbefristeter Verkehrsstreik begonnen. Radikale Eisenbahner und Studenten drohen mit "harten Aktionen" gegen die Rentenreform der Regierung. Für Präsident Nicolas Sarkozy steht viel auf dem Spiel.

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Paris - Das alte Fahrrad aus dem Keller holen, das Auto mit dem Nachbar teilen oder die Roller einfetten: Die Franzosen bereiteten sich gestern auf die massive Streikwelle vor, die in den nächsten Tagen über ihr Land schwappen wird.

Den Auftakt machten am Dienstagabend die Eisenbahner: Sieben von acht Gewerkschaften rufen zur Arbeitsniederlegung auf, um gegen die Rentenreform vom Präsident Nicolas Sarkozy zu protestieren. Der regionale Schienenverkehr dürfte fast vollständig zum Erliegen kommen; von den täglich 400 TGV-Zügen werden maximal 90 und wohl mit großer Verspätung verkehren. Nach ÖBB-Angaben ist auch der Nachtzug zwischen Wien und Paris betroffen.

Auch die Angestellten der Pariser Metro treten heute Mittwoch in den Ausstand, flankiert von den Stromern von Electricité de France und Gaz de France. Sie alle hatten schon vor Monatsfrist einen Tag lang gestreikt, aber nichts erreicht: Sarkozy hält eisern daran fest, dass die Nutznießer von sogenannten "Spezialregimes" - darunter eben Eisenbahner und Stromarbeiter - in Zukunft wie in der Privatwirtschaft 40 Jahre lang Beiträge einzahlen müssen, um in den Genuss einer Vollrente zu kommen. Derzeit müssen sie nur 37,5 Jahre lang zahlen und können mit 55 in Rente gehen, Lokführer sogar schon mit 50.

Modernisierung

Laut Meinungsumfragen stehen 55 Prozent der Franzosen zu Sarkozy und wollen die "régimes spéciaux" abschaffen; 44 Prozent wünschen ihre Beibehaltung. Für den konservativen Präsidenten steht viel auf dem Spiel: Bringt er seine Reform durch, kann er den französischen Sozialstaat weiter modernisieren, scheitert er wie seine Vorgänger Alain Juppé 1995 und Dominique de Villepin 2006 am Gegendruck der Straße, dürfte bei seinem Reformeifer bereits die Luft draußen sein.

Nach dem eintägigen Vorgeplänkel vor einem Monat gehen die Gewerkschaften nun aufs Ganze: Ihr Streik ist unbefristet - wer die besseren Nerven hat, wird also gewinnen. In einer Woche treten auch noch die Staatsfunktionäre in den Ausstand, um gegen die Reduktion der Beamtenstellen zu protestieren. Da auch an einzelnen Unis - gegen die von Sarkozy lancierte Hochschulautonomie - sowie Provinzgerichten und Spitälern gestreikt wird, könnte ein Schulterschluss von Eisenbahnern, Stromern, Studenten und den meisten Beamtenkategorien durchaus entscheidend sein.

Sarkozys Sozialminister Xavier Bertrand versucht deshalb die Gewerkschaften im letzten Moment zu spalten. Noch am Dienstagnachmittag empfing er den Chef der mächtigsten Gewerkschaft CGT, Bernard Thibault, zu vertraulichen Gesprächen.

Sollte die Streikfront bröckeln, könnten aber militante Eisenbahn-Gewerkschaften wie Sud und trotzkistische Studentengruppen umso mehr versucht sein, das Blatt mit Gewaltakten zu wenden. Einzelne wollen zum Beispiel die Gleise blockieren. (Stefan Brändle, Paris, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.11.2007)