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Ein Vorbild für die Wirtschaft von morgen? Soziale Kommunikation im Kindesalter läuft noch ganz ohne Rücksicht auf die Macht der besseren Beziehung ab.

Foto: APA/dpa/Waltraud Grubitzsch
Beim Wiener Symposion "und Kondratieff hatte doch recht..." wurden die Theorien des Wissenschafters Nikolai Kondratieff auf ihre Aussagekraft über den Boom des Gesundheitsbereichs überprüft. Ein Kondratieff-geprägter Blick in die Zukunft zeigt eine steigenden Bedarf an Kommunikation.

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Der österreichische Zukunftsforscher Hans Millendorfer (1921-2001) hat in den 1970er-Jahren prognostiziert: "Nach dem Höhepunkt der Industriegesellschaft wird die Wirtschaft entweder umkehren zu den Prinzipien des Lebens - oder sie wird stagnieren." Wohlstand werde stärker von immateriellen Faktoren abhängig, vom Führungsstil, von der Vernetzung, von der Qualität des Familienlebens, von der "alternativen Sanftheit" im Lebensstil. Im Gegensatz dazu diskutieren rein monetär ausgerichtete Ökonomen darüber, was passiert, wenn die Notenbank die Zinsen senkt, wenn die Löhne steigen oder die Regierung eine Steuerreform vorzieht oder doch nicht.

Millendorfer sah auf die Vorgänge im realen Leben und argumentierte dabei unter anderem mit dem russischen Ökonom Nikolai Kondratieff (1892-1938). Der hatte Krisen und Boomphasen mit den strukturellen Veränderungen des Arbeitens erklärt: Unternehmen produzieren mit einem bestimmten Mix an Produktionsfaktoren, Werkzeugen, Kompetenzen. Aber die wachsen nicht im selben Maße wie die gesamte Wirtschaft. Irgendwann gibt es einen Produktionsfaktor, der im Verhältnis zu den anderen zu knapp wird und daher zu teuer - das drückt dann der Wirtschaft den Atem ab. Neue Berufe und technische Innovationen entstehen nicht aus Zufall, sondern weil sie wirtschaftlich notwendig werden.

Diese Theorie hält stand: Weil die englischen Unternehmer nicht mehr hinterherkamen, Bergwerke zu entwässern und Spinnräder mit Tierkraft anzutreiben, beknieten die englischen Unternehmer James Watt, eine Dampfmaschine zu erfinden. Die Textil- und Eisenindustrie konnte damit nun viel effizienter produzieren, die ganze Wirtschaft profitierte davon in einem gigantischen Boom. Auch der Computer wurde nicht deshalb erfunden, weil ein paar Leute gerne mit dem Gameboy spielten, sondern weil die Informationsflut so anschwoll, dass die Firmen eine elektronische Kiste brauchten.

Für die Kondratieff-Theorie ist Wirtschaft ein gesamtgesellschaftlicher Vorgang: Die neue, grundlegende Erfindung verändert die Art, wie sich eine Gesellschaft organisiert - schließlich wollen die Menschen die neue Basisinnovation optimal nutzen. Deswegen gibt es neue Spielregeln und Erfolgsmuster dafür, wie man Wohlstand schafft, mit neuen Bildungsinhalten, neuen Führungs- und Organisationskonzepten in den Unternehmen. Die Engländer waren im 19. Jahrhundert also nicht deswegen reich und mächtig, weil Löhne, Staatsausgaben oder Geldmenge hoch oder niedrig waren, sondern weil sie zuerst mit der Dampfmaschine, dann mit der Eisenbahn die aktuelle Knappheit überwanden.

Die Theorie von Kondratieff wird wenig beachtet, ist aber relevant. Demnach müssten sich Wirtschaftspolitik und Unternehmensstrategen vorrangig die Frage stellen: Welcher große Produktionsfaktor wird relativ zu teuer? Und mit welchen Innovationen wird diese Knappheit überwunden? Dabei warten die meisten jetzt wieder auf materielle Erfindungen wie früher die Dampfmaschine. Ökonomisch knapp sind in Zukunft aber jene Zeit und Kraft, die nötig sind, bestimmte Informationsarbeiten zu bewältigen. Alle Formen von Hardware sind nur das dienende Drumherum um die größte Knappheit: intelligente, kreative, kooperative Informationsarbeit und ihre produktive Lebensarbeitszeit.

Wissensarbeiter

In einer globalisierten Wirtschaft kann längst jeder überall Kapital aufnehmen, verfügt jeder per Internet schnell über alle Informationen und jedes Wissen, kann sich jeder auf einem freien Weltmarkt jede Maschine kaufen und seine Produkte weltweit vermarkten. Ob die Maschinen 100 oder 100.000 Teile herstellen, ist fast unerheblich geworden - der größte Teil der Wertschöpfung findet im gedachten Raum statt: entwickeln, organisieren, planen, analysieren, den Kunden verstehen, in dieser gigantischen Informationsflut die Information finden, die man gerade braucht, um ein reales Problem zu lösen. Der entscheidendste Standortfaktor wird die Fähigkeit der Menschen vor Ort, mit Information umzugehen - also auch mit anderen Wissensarbeitern.

Ein Blick in die Zeitung genügt, um zu sehen, dass das nicht gut gelingt: Mobbing, Burnout, Konflikte im Büro, psychische Belastungen nehmen zu. Das hat seinen Grund: Als aus Fließbandarbeitern Wissensarbeiter wurden, führten wir in den 1990er-Jahren flache Hierarchien ein - aus der Knappheit heraus, Wissen schneller anzuwenden. Während man in den alten Hierarchien weiter nach oben gekommen war, je höher man gebildet war, rutscht die Kompetenz nun von oben zurück auf die Ebene der Fach- und Sachbearbeiter. Das verändert die Stellung des Einzelnen in der Firma. Statt ein gehorsames Rädchen zu sein, wird er zum unverzichtbaren Spezialisten eines Zwischenschritts, und sei er hierarchisch noch so unbedeutend. In Gummi-Hierarchien bekommt der Einzelne das Gewicht, das den gerade tagesaktuell geforderten Kompetenzen entspricht. Die Führungskräfte haben nun die Aufgabe, Menschen mit ihren Stärken und Schwächen zu analysieren und passend einzusetzen.

Auf einmal müssen auch die formal Gleichrangigen ihr Verhältnis untereinander neu ordnen. Keiner kann weiterhin ein Projekt, eine Situation oder ein Fachgebiet alleine überblicken. Deswegen wurden die einzelne Fürsten der Wissenskönigreiche zu Teams zusammengewürfelt, die eine anstehende Aufgabe lösen sollen.

Diese Spezialisten sollen nun partnerschaftlich, zielorientiert auf derselben Augenhöhe zusammenarbeiten. Das ist eine neue Anforderung, die nichts mit Fachwissen zu tun hat oder mit Organisationsstrukturen, sondern damit, wie weit das Verantwortungsgefühl eines Menschen reicht und ob man ausreichend selbstbewusst ist, ohne Statussymbole auszukommen.

Umgangskultur

In der Arbeitswelt der Informationsgesellschaft bricht das uralte Problem auf, dass sich Männer und Frauen wegen ihrer unterschiedlichen Kommunikation oft nicht verstehen, dass sich Junge und Alte überwerfen und dass wir keine sachliche und faire Umgangskultur haben. Wer heute etwas Geniales vorschlägt, aber zu fünf Prozent irrt, den nageln wir bei den fünf Prozent fest, anstatt den guten Gedanken aufzunehmen - denn das könnte ja dessen Status erhöhen. Wer aus der Deckung tritt und Fehlentwicklungen anspricht, um ein langfristig gesundes Firmenklima und eine redliche Entscheidungsbasis zu schaffen, der steht schnell alleine da. Denn bei abteilungsinternen Streitereien halten wir eher zu dem, der uns nützlicher erscheint oder weniger bedrohlich.

Wir verschweigen Konflikte oder tragen sie schließlich frontal aus, notfalls bis zur Vernichtung des anderen, mit dem Recht des Stärkeren oder der Macht der besseren Beziehung - wer eben den Vorstand besser kennt vom sonntagnachmittäglichen Golfen. Meinungsverschiedenheiten arten zu Machtkämpfen aus, die bis zur Verrentung anhalten und den Informationsfluss unterbinden.

Unmengen an Energie verpuffen bei der Selbstbehauptung. Wer meint, daran werde sich nichts ändern, weil "der" Mensch eben "so" sei, der verkennt die formende Kraft des Marktes. Wer Informationsarbeit nicht effizient löst, der bekommt in Zukunft vordergründig ein "Kostenproblem" - und wird vom Markt verschwinden.

Infos weitergeben

Wenn sich dann der aufgewirbelte Staub des Strukturwandels gelegt haben wird, werden jene Firmen übrigbleiben, die der Wirklichkeit so nahe wie möglich kommen, weil sie Informationen über alle Sensoren wahrnehmen. Um das gesamte Wissen in einer Organisation zu mobilisieren, wird sich eine dienende Führungskultur durchsetzen.

Die Menschen werden schwankende Wichtigkeit nicht mehr als Beleidigung ihres Selbstwertes empfinden, ja sie werden sich gegenseitig fördern und sich über die Leistungen des anderen freuen. Sie werden Informationen nicht nach Nützlichkeit manipulieren, sondern weitergeben. Sie werden Konflikte fair klären und ihre Beziehungen versöhnen. Statt an ihrem Eigennutz werden sie sich langfristig und an den berechtigten Interessen der anderen Partner, Kunden, Lieferanten orientieren.

Wenn sich diese neue Kultur der Zusammenarbeit durchgesetzt hat, dann ist der nächste Strukturzyklus erreicht. Professor Millendorfer sagte bei seinen Vorträgen vor 30 Jahren: "Ihr seid nicht die Letzten von gestern, sondern die Ersten von morgen." (Erik Händeler/DER STANDARD, Printausgabe, 14.11.2007)