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Ricardo Lumengo: "Ich akzeptiere, dass in einer Demokratie auch Platz für Organisationen wie die Freiheitspartei sein muss, obwohl es schade ist, dass solche Gruppierungen das Bild der Schweiz im Ausland beeinträchtigen."

Foto: AP /Peter Klaunzer
Trotz des von vielen als fremdenfeindlich betrachteten Wahlkampfs wählten die Schweizer Ende Oktober erstmals einen Abgeordneten mit dunkler Hautfarbe ins Parlament ( derStandard.at berichtete ). Der Sozialdemokrat und Jurist Ricardo Lumengo kam in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts als Asylbewerber aus Angola in unser Nachbarland.

Im Gespräch mit Berthold Eder erzählt er von seiner bisherigen Tätigkeit im Berner Kantonsparlament, den Problemen der Schwarzen Community in seiner Heimatstadt Biel und die Meinungsverschiedenheiten in der Schweizer Sozialdemokratie.

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derStandard.at: Die SP hat bei der Wahl Ende Oktober neun von 52 Parlamentssitzen verloren, die Grünen haben sechs dazu gewonnen. Was treibt Ihrer Meinung nach die Wähler von der Sozialdemokratie weg?

Ricardo Lumengo: Es gibt eine Vielzahl von Gründen für diese Wahlniederlage. Wir haben es nicht geschafft, unsere Botschaft allgemein verständlich zu vermitteln, die anderen Parteien wie zum Beispiel die SVP haben das wohl besser gemacht.

derStandard.at: Der SVP ist ein historischer Wahlsieg gelungen. Welche Auswirkungen wird dies auf die Asyl- und Fremdenpolitik der Schweiz haben?

Lumengo: Das bereitet uns Sorgen. Eine weitere Verschärfung ist leider zu erwarten.

derStandard.at: Justiz- und Polizeiminister Christoph Blocher hat eine Woche vor der Wahl von einer Regierung ohne SP-Beteiligung geträumt, die Grünen wollen mit den Sozialdemokraten (SP), der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP) und der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP) Möglichkeiten einer Regierung ohne SVP ausloten. Naht das Ende der Schweizer Konsensdemokratie?

Lumengo: Ich sehe mich als Vertreter des Konsens, gerade diese Besonderheit der Schweiz hat mich bewogen, in die Politik zu gehen. Was Politiker vor der Wahl äußern, sollte natürlich mit dem übereinstimmen, was sie nachher vertreten. Es gibt zu diesem Thema die verschiedensten Meinungen, die Debatte läuft noch, ich glaube aber, dass wir bis zum Wahl des Bundesrates (die aus sieben Mitgliedern bestehende Regierung, Anm.) am 12. Dezember eine Lösung im Rahmen des Konsenses finden werden.

derStandard.at: In der zweiten Kammer des Schweizer Parlaments, dem Ständerat, dominieren weiterhin die Mitteparteien FDP und CVP. Hat die SVP realistische Chancen, sich mit ihrem Anti-EU-Kurs durchzusetzen?

Lumengo: Das glaube ich nicht, solange die Mehrheitsverhältnisse im Ständerat sich nicht ändern. (Nicht alle Kantone wählen ihre Vertreter zum Ständerat am gleichen Termin wie den Nationalrat, Anm.)

derStandard.at: Die SVP hat im Wahlkampf erfolgreich die Begriffe Zuwanderung und Kriminalität kombiniert, ein Volksbegehren zur Verschärfung der Ausländergesetze fand vor einem Jahr breite Zustimmung. Was hat sich verändert, seit Sie 1982 in der Schweiz Asyl erhielten?

Lumengo: Wenn ich heute in die Schweiz käme, hätte ich nicht die gleichen Möglichkeiten. Die Rechte von Zuwanderern wurden mehrmals eingeschränkt. Wir können nur versuchen, diese Veränderungen rückgängig zu machen.

derStandard.at: Die ausländerfeindliche "Freiheits-Partei" und besonders deren Präsident Jürg Scherrer, der Polizeidirektor ihrer Heimatstadt Biel, bezeichnete Sie auf einer eigens eingerichteten Webseite als "kriminellen, verlogenen Asylanten".

Lumengo: Ich akzeptiere, dass in einer Demokratie auch Platz für Organisationen wie die Freiheitspartei sein muss, obwohl es schade ist, dass solche Gruppierungen das Bild der Schweiz im Ausland beeinträchtigen. Zum Glück hat das Volk bei der Wahl klar gezeigt, was es davon hält (die Freiheitspartei erreichte 0,1 Prozent der Stimmen, Anm.).

derStandard.at: Zum Thema Polizei: die sozialdemokratische Wiener Stadtregierung hat im Sommer mit Unterstützung von ÖVP und Grünen beschlossen, verstärkt Sicherheitsbeamte mit Migrationshintergrund zu rekrutieren (derStandard.at berichtete). Gibt es in der Schweiz ähnliche Bestrebungen?

Lumengo: Ich habe im Juni im Berner Kantonsparlament einen Vorstoß in diese Richtung unternommen, der auch auf die Zustimmung der Abgeordneten traf, die dementsprechenden Maßnahmen sollten demnächst umgesetzt werden. Ich halte dies für sehr wichtig, um das Misstrauen zwischen Polizei und Immigranten und rassistische Verdächtigungen abzubauen.

derStandard.at: Gibt es eine Schwarze Community in Biel?

Lumengo: Ja, Biel ist eine multikulturelle Stadt, was sich auch in der Zweisprachigkeit äußert. Unter anderem deshalb lebe ich sehr gerne hier.

derStandard.at: Was sind die Probleme und Anliegen dieser Community?

Lumengo: Vor allem beim Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Wohnungen fühlen sich Immigranten oft ein bisschen diskriminiert. Auch im Kontakt mit den Behörden und der Polizei gibt es manchmal Probleme. Das Verhältnis zwischen Schweizern und Zuwanderern ist allerdings regional unterschiedlich, in einigen Kantonen gibt es da viel größere Probleme.

derStandard.at: Die österreichischen Sozialdemokraten haben in der Opposition einer von der Regierung Schüssel beantragten Verschärfung des Asylrechts zugestimmt, um den rechten Parteiflügel nicht zu verstimmen bzw. keine Wählerstimmen an die Rechtsparteien abzugeben. Wie sieht es in dieser Hinsicht bei den Schweizer Sozialdemokraten aus?

Lumengo: Es gehört zur Demokratie, dass es auch innerhalb einer Partei Meinungsverschiedenheiten gibt. Ich gehe aber davon aus, dass wir alle die Grundsätze der Sozialdemokratie vertreten. Stimmen, die eine weitere Verschärfung verlangen, gibt es in der Partei, das sind aber isolierte Fälle. Von einer Rechtstendenz innerhalb der Schweizer SP würde ich nicht sprechen.

derStandard.at: Trotz guter Konjunkturdaten steigt auch in der Schweiz die Zahl derer, die auf Sozialhilfe angewiesen sind. Wie schafft es der Milliardär Blocher, diese Wählerschaft anzusprechen?

Lumengo: Das Problem ist nicht Herr Blocher, sondern die fehlende soziale Gerechtigkeit. Der Reichtum ist ungerecht verteilt. Hier sind wir Sozialdemokraten gefordert, Leuten, die von Arbeitslosigkeit betroffen oder von der Sozialhilfe abhängig sind, mit Respekt gegenüberzutreten und alle juristischen und politischen Mittel einzusetzen, um das Ideal der sozialen Gerechtigkeit in der Schweiz zu verwirklichen. In diese Richtung haben wir noch viel zu tun. (derStandard.at/15.11.2007)