London, 7. Dezember 1932: Österreich unterlag England knapp 3:4. Trainer der Gäste war James Hogan (zweite Reihe, ganz links), ein Engländer.

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Wien - Im Jahr 1954 - um als Österreicher ballesterische Dinge und Umstände zu beschreiben, sollte man möglichst weit ausholen - im Jahr 1954 gab es in all dem Jammer, den der Siegeslauf der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in der Schweiz ausgelöst hatte, einen sehr mit sich und der Welt zufriedenen Mann. James Hogan, der zu seinen, von 1882 bis 1974 dauernden Lebzeiten stets ein wenig gemobbt, wenn nicht geschurigelt wurde, erlaubte sich nach dem Finalspiel im Berner Wankdorfstadion, das die Bundesrepublik Deutschland gegen Ungarn mit 3:2 gewann, einen kurzen Moment des Lebensglücks: "Jene drei Länder, in denen ich als Trainer tätig war, stehen nun auf Platz eins, zwei und drei." Österreich wurde Dritter.

Jimmy Hogan hat sich diesen Moment der Lebenszufriedenheit schwer erarbeitet. Daheim ignoriert, an den Stätten seines Wirkens als Ausländer jeweils verdrängt, war er es, der den Fußball im Grunde auf den europäischen Kontinent gebracht hat. Alles, was vor ihm war, war ein anderer, rüpelhafterer Sport, wahrscheinlich ähnlich dem, den die österreichische Nationalmannschaft heute zuweilen aus-, wenn auch hoffentlich nicht einübt.

Der Keim war gelegt

Hogan war einer jener Engländer, die Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts mit geradezu missionarischem Eifer sich aufgemacht hatten, die Welt das Kicken zu lehren. Aber Hogan war schon einer der zweiten Generation, einer, der schon was vorfand, wo immer er hinkam. Als er, 1912, in Wien eintraf, hatten die Engländer der ersten Generation den Keim längst gelegt.

Aus den ursprünglich zwei Vereinen - der Vienna auf der Hohen Warte und den Cricketern im Prater - war eine ansehnliche Klubzahl geworden. Aus dem vom Cricketer-Mitbegründer John Gramlick gestifteten "Challenge Cup" war 1911 die nationale Meisterschaft geworden, und das von Magnus Douglas Nicholson ins Leben gerufene "Comité zur Veranstaltung von Fußball-Wettspielen" hatte sich zu einem veritablen Verband gemausert, der seit 1905 FIFA-Mitglied war.

Jetzt aber, 1912, standen die Olympischen Spiele in Stockholm vor der Tür einer keineswegs zufriedenstellenden österreichischen - damals korrekterweise: cisleithanischen - Nationalmannschaft. Hugo Meisl - damals bereits das, was er sein Lebtag lang bleiben würde: ein Zampano - erkundigte sich beim Schiedsrichter des mageren 1:1 gegen Ungarn, James Howcraft, was angesichts des eben erlebten Desaströsen wohl zu tun wäre. Howcraft empfahl seinen Freund Hogan. Der kam. Und blieb, sozusagen.

Europas ballesterisches Glück war sein politisches Unglück. Hogan, engagiert auch für die Vorbereitungen auf Olympia 1916, wurde in Wien vom Kriegsausbruch überrascht, als feindlicher Ausländer interniert und auf ungarische Intervention nach Budapest abgeschoben, wo er dem Magyar Testgyakorlók Köre die später weithin gerühmt MTK-Schule beibrachte, die sich in Wien zur Wiener Schule zuspitzte, auch das mit Hilfe Hogans, der nach dem Krieg auch der Austria - damals noch: Amateure - unter die Arme griff.

In England, dort wo Hogan sich zu arbeiten erträumte, galt er, erstaunlicherweise, als Verräter, der es sich während des Krieges im Feindesland gemütlich gemacht habe. Also trieb es ihn auch im Frieden quer über den Kontinent. In Hugo Meisl hatte er einen Freund gefunden, der ihn immer wieder engagierte. Auch in Budapest, in Lausanne, in Dresden hielt er weiterhin seine mittlerweile gerühmten Vorlesungen.

Mit Österreichs Wunderteam reiste er im Dezember 1932 nach London, um dort am Nimbus der englischen Unbesiegbarkeit immerhin zu kratzen. Das 3:4 der Österreicher am 7. Dezember an der Stamford Bridge galt als erste wirkliche Herausforderung des ballesterischen Mutterlandes auf eigenem Boden. Hogan musste freilich 19 weitere Jahre und einen ganzen weiteren Krieg lang warten, um diesbezüglich auf seine Rechnung zu kommen.

Am 25. November 1953 kam der Olympiasieger, die goldene ungarische Mannschaft, die "arany csapat", um die bis dahin Unbesiegten überheblichkeitsbezügliche Mores zu lehren. Die Ungarn siegten 6:3, ihr Coach, Gusztáv Sebes, erklärte: "Alles, was wir über Fußball wissen, hat uns Jimmy Hogan beigebracht", ein paar Monate später reisten die Engländer für eine Woche (egy hét) nach Budapest, wo sich die Ungarn mit einem 7:1 (hét-egy) in den Nimbus der Unschlagbarkeit spielten.

Torberg'sche Tirade

Der Nimbus hielt bis zum Juli 1954, als angesichts des deutschen WM-Titels Friedrich Torberg lauthals das Ende der ballesterischen Poesie beklagte. Willy Meisl, der Bruder des Wunderteamchefs Hugo und Autor des epochalen, den im eigenen Saft bratenden Engländern ordentlich die Leviten lesenden Buches "Soccer Revolution", hat seinem einstigen Trainer, Jimmy Hogan, die Torberg'sche Tirade sicherlich hinterbracht.

Aber Hogan hat, damals in Bern, darin wohl keinen Anlass gesehen, von dem abzugehen, was er sich vorgenommen hatte zu tun: nämlich mit sich und der Welt rundum zufrieden zu sein. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD, Printausgabe, Donnerstag, 15. November 2007)