Zunächst einige Zahlen. 28 Prozent der Strafgefangenen verbüßen Freiheitsstrafen unter einem Jahr, weitere 35 Prozent Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren. Nur 11 Prozent befinden sich länger als fünf Jahre hinter Gittern.

Kriminalität ist ein Phänomen, das vor allem jüngere Menschen betrifft. Nur 10 Prozent der Inhaftierten sind über 50 Jahre. Auch Straftäter mit hoher Rückfallsneigung werden im mittleren Lebensalter zumeist nicht mehr rückfällig.

Die allgemeine Rückkehrerrate in den Strafvollzug beträgt rund 50 Prozent. Sie ist abhängig von der Art der Straffälligkeit. Vergleichsweise niedrig sind die Rückfälle bei Sexualstraftätern mit 15 bis 20 Prozent. Hier ist die Rückfallsverhinderung besonders notwendig, aber auch besonders aussichtsreich. Therapeutische Behandlung im und vor allem nach dem Strafvollzug kann die Wahrscheinlichkeit neuerlicher Sexualstraftaten annähernd halbieren (nach einer Untersuchung über die Behandlungen des Forensisch-Therapeutischen Zentrums Wien auf 12 Prozent bei Nachbehandlung im Vergleich zu 21 Prozent bei unbehandelten Entlassenen).

Sozialwissenschafter sind sich weitgehend darüber einig, dass die Generalprävention (die Abschreckung anderer von strafbaren Handlungen) vor allem vom Entdeckungsrisiko, also von der Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, und in nur höchst eingeschränkter Form von der Schwere der Bestrafung abhängig ist. Ebenso sind die Möglichkeiten, durch die Sanktionierung auf verurteilte Straftäter einzuwirken, eng begrenzt. Die unterschiedliche Strafpraxis der Gerichte in Österreich stellt sozusagen ein natürliches Experiment dar: Die schärfere Sanktionierung in Ostösterreich führt zu keiner geringeren Rückfälligkeit als die zurückhaltendere Strafenpraxis in Westösterreich. Deutsche Kriminologen reden von der Austauschbarkeit oder auch der Neutralität strafrechtlicher Sanktionen.

Entscheidend für die öffentliche Sicherheit ist weniger, wann die Strafgefangenen entlassen werden, sondern vielmehr, wie sie entlassen werden. Nur im Falle einer bedingten Entlassung ist Nachbetreuung und Nachbehandlung während der Probezeit sichergestellt. Diese Probezeit übersteigt zumeist den bedingt nachgesehenen Strafrest um ein Vielfaches. Über dem bedingt Entlassenen hängt das Damoklesschwert des Widerrufs. Bedingte Entlassungen dienen der Optimierung der Wirkung einer Freiheitsstrafe. Sie sind kein Akt der Gnade.

Ziel einer rationalen, auf den Schutz der Bevölkerung bedachten Strafrechtspolitik muss es sein, Rückfälle zu reduzieren, den Abbruch krimineller Karrieren vorzuverlegen und die öffentliche Sicherheit zu erhöhen.

Mehr Sicherheit ...

Haftplätze sind knappe, teure Güter (Kosten eines Hafttages: 86 Euro, Kosten der Errichtung eines Haftplatzes: rund 100.000 Euro). Quantität und Qualität stehen im Strafvollzug in einem reziproken Verhältnis. Der Anstieg der Häftlingszahlen in den letzten fünf Jahren von 7000 auf 9000 bei gleichgebliebenen Personalzahlen hat dazu geführt, dass die Zahl der beschäftigten Insassen und deren Arbeitszeiten ebenso zurückgegangen sind wie die Betreuungsangebote.

Man kann strafrechtliche Sanktionen als negative Güter verstehen, deren Nutzen nicht automatisch umso eher ansteigt, desto mehr man davon verteilt. Um ein Beispiel aus der Ökonomie zu bringen: Eine Gesellschaft wird nicht dadurch reicher, dass die Nationalbank mehr Noten druckt. Solche Geldvermehrung im Übermaß führt zu Hyperinflation und destabilisiert die Wirtschaft. Ansätze, die dies negieren, werden auch als "Voodoo-Ökonomie" bezeichnet. In ähnlicher Weise gibt es auch den Ruf nach einer Voodoo-Kriminalpolitik: "Eine Gesellschaft ist umso sicherer, je zahlreicher und voller die Gefängnisse sind!" - Diese Behauptung ist ebenso falsch wie "Eine Gesellschaft ist umso reicher, je mehr Geld im Umlauf ist".

... durch weniger Haft

Slogans wie "Keine Gnade für Kinderschänder" oder "Mir ist es lieber, wenn Kriminelle im Gefängnis und nicht auf der Straße sind" sind ebenso populär wie sie dem Schutz der Gesellschaft abträglich sind. Das Haftentlastungspaket sieht wesentliche weitere Verbesserungen der Diagnostik, Prognose, Entlassungsvorbereitung und Nachbetreuung vor, Motto: "Eine bedingte Entlassung ermöglicht eine bessere Rückkehr in die Gesellschaft."

Auch bei Nicht-EU-Ausländern ist die Realität nicht so eindimensional, wie uns Voodoo-Kriminalpolitiker dies weismachen wollen. "Vorläufiges Absehen vom Strafvollzug zur Durchsetzung eines Aufenthaltsverbots bei ausreisewilligen Strafgefangenen" - diese Formulierung zeigt schon, dass Sanktionen für sich alleine Probleme nicht lösen können. In der Praxis können viele Fremde nach der Strafhaft nur dann abgeschoben werden, wenn sie kooperationsbereit sind, da eine zwangsweise Rückkehr in ihre Heimatstaaten an deren mangelndem Kooperationswillen scheitert. Was zur Folge hat, dass eine größere Zahl von haftentlassenen Drittstaatsangehörigen in Österreich weiterhin eine Schattenexistenz führt, die nur allzu leicht in weitere Straftaten mündet. Das Angebot "Wenn Sie freiwillig Österreich verlassen, sehen wir Ihnen einen Teil der Strafe vorläufig nach" ist somit eine weitere Umsetzung des Grundsatzes: "Mehr Sicherheit durch weniger Haft".

Abweichendes Verhalten erfordert wohlbedachte und vernünftige Lösungen. Das Haftentlastungspaket zielt auf mehr Sicherheit in zweierlei Hinsicht ab: einerseits durch Ausbau spezialpräventiv günstiger Sanktionsmöglichkeiten (übrigens auch durch gemeinnützige Leistungen anstelle von Ersatzfreiheitsstrafen), andererseits durch eine zahlenmäßige Entlastung des Strafvollzuges, die es diesem ermöglicht, wieder mehr für soziale Reintegration zu tun. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.11.20079