War der EU-Beitritt Rumäniens am 1. Januar doch zu früh und waren die von der Kommission gestellten Bedingungen zu leicht bzw. war die Überprüfung ihrer Erfüllung zu locker? Diese viel zu spät gestellten Fragen beschäftigen nicht nur die EU-Kommission, sondern auch die internationale Öffentlichkeit. Es geht dabei nicht oder nicht nur um die politische Krise, den Kampf auf Gedeih und Verderb zwischen Premier Calin Popesu-Tariceanu und Staatspräsident Traian Basescu, der im Mai bei einem Referendum ein Vetrauensvotum von 75 Prozent der Bevölkerung erhalten hatte.

Im Mittelpunkt der internationalen Kritik und wohl auch der innerpolitischen Kontroversen steht das fast traditionelle Krebsübel der rumänischen Politik: die Korruption. Dass Rumänien trotz Bestechungsskandalen in den höchsten Kreisen der Regierungs- und Oppositionsparteien der EU beitreten konnte, verdankte das Land vor allem jenen energischen Maßnahmen, die die Ende 2005 zur Justizministerin ernannte parteilose Menschenrechtsaktivistin Monica Macovei und die von ihr errichtete Abteilung zur Korruptionsbekämpfung ergriffen haben. In den letzten zwei Jahren wurden gegen elf Abgeordnete und drei Minister, quer durch alle Parteien, dutzende Polizei- und Grenzwacheoffiziere, Richter und Staatsanwälte Verfahren wegen Betrugs und Bestechung eröffnet.

Ministerin Macovei galt in Brüssel als Garantin dafür, dass die Maßnahmen zur Sicherung der unabhängigen Justiz und zur wirksamen Bekämpfung der Korruption auch nach dem Beitritt fortgesetzt werden. Diese Hoffnungen wurden enttäuscht, als Premier Popescu-Tariceani die entschlossen handelnde Justizministerin im April dieses Jahres brüsk abgelöst hat. Macovei kritisierte seitdem in mehreren Interviews die Versuche der Regierung und des Parlaments, die Antikorruptionsmaßnahmen zu stoppen und die Korruption durch Sondergesetze zu institutionalisieren.

Rumänien ist mit Abstand das korrupteste Land in der EU. Laut dem Internationalen Korruptionsindex nimmt es 2007 unter 163 Staaten den 69. Platz, knapp vor Ghana und Kolumbien, ein. Die EU-Agrarkommissarin Marian Fischer-Boel hatte Anfang Oktober Rumänien mit einer Kürzung der Agrarsubventionen um 25 Prozent gedroht, weil das System für die Verteilung der Gelder nicht zufriedenstellend funktioniert. Rumänien soll nächstes Jahr 443 Millionen Euro und danach bis 2013 insgesamt 4,3 Milliarden Euro von Brüssel erhalten.

Die Aussichten für einen Durchbruch sind nicht gerade vielversprechend. Nur einen Tag nach der öffentlichen Mahnung aus Brüssel musste nämlich ausgerechnet der für die Landwirtschaft zuständige Minister wegen schwerer Korruptionsvorwürfe zurücktreten. Er soll von einem Geschäftsmann 15.000 Euro, 20 kg Würste und 100 Liter Schnaps erhalten haben. Am Vorabend hatte das staatliche Fernsehen ein Video ausgestrahlt, das den Minister zeigte, wie er von seinem Vorgänger (!) einen Umschlag mit dem Bestechungsgeld übernimmt.

Kein Wunder, dass der deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert in einer Rede vor dem Bukarester Parlament kürzlich "sehr deutlich" die Erledigung der unerfüllten Vereinbarungen im Justizwesen gefordert hat. Nach seiner Rückkehr sagte Lammert allerdings in einem Interview mit der FAZ, er sehe keine Kraft in Rumänien, die den Willen und die Fähigkeit hätte, die Dinge zum Besseren zu wenden. (Paul Lendvai/DER STANDARD, Printausgabe, 15.11.2007)