Mr. Slow Food Carlo Petrini im Interview: "Wenn wir jetzt nicht handeln, wird die Landwirtschaft bald ausschließlich industriell arbeiten und sich Sklaven halten. So wie das heute schon geschieht."

Gut, sauber & fair

Foto: Andy Urban

DER STANDARD: Der deutsche "Gourmetpapst" Siebeck hat unlängst in Wien gemeint, dass Slow Food bloß eine Promotionfirma für italienische Produkte sei. Was sagen Sie dazu?

Carlo Petrini: Ich kenne diesen Mann nicht persönlich, habe aber gehört, dass es in Deutschland einen Journalisten gibt, der das seit Jahren behauptet. Er scheint sich damit auf die erste Phase von Slow Food zu beziehen, auf die Zeiten vor Terra Madre (ein von Slow Food geschaffenes, weltweites Netzwerk von Kleinproduzenten, Gastronomen und Wissenschaftern, Anm.). Heute geht der Vorwurf ziemlich ins Leere. Das könnte er auch in meinem Buch nachlesen.

DER STANDARD: Zu Beginn war das aber tatsächlich so?

Carlo Petrini: Das versteht sich von selbst. Die Bewegung wurde in Italien von Italienern gegründet und die Unterstützung lokaler Produkte war unser Hauptanliegen. Heute ist das anders. Seit der Verein auch im Ausland an Bedeutung gewonnen hat, sind die regionalen und nationalen Convivien (lokale Slow-Food-Gruppen, Anm.) für das verantwortlich, was sie pushen und bewerben wollen. Und das sind natürlich wieder lokale Produkte, sicher keine aus Italien.

DER STANDARD: Insofern beschreibt Ihr neues Buch die zweite Phase, während sich Ihr erstes Buch, "Slow Food Revolution", auf die erste bezog?

Carlo Petrini: Das kann man so nicht sagen. Slow Food Revolution beschreibt unsere Geschichte bis zum ersten Terra-Madre-Treffen 2004. Gut, sauber & fair ist ein Manifest für eine neue Art von Gastronomie. Es beschreibt drei Grundbedingungen, die vereint sein müssen, um von echter Qualität eines Produktes sprechen zu können. Daraus ergibt sich, dass der Verbraucher heute eine Art Co-Produzent ist und sein Konsumverhalten von kultureller und landwirtschaftlicher Bedeutung.

DER STANDARD: "Sauber" und "fair" sind im Vergleich zu "gut" ziemlich konkrete Begriffe. Wie definieren Sie gutes Essen, gute Produkte? Ist das nicht Geschmackssache?

Carlo Petrini: Natürlich kann gutes Essen sehr subjektiven Beurteilungen unterliegen. Aber die Wissenschaft hat große Fortschritte gemacht. Unsere Sinne senden Signale ans Gehirn, das 16 Millionen davon speichern kann. Sinnlichkeit findet also auch im Gehirn statt, damit wird vieles davon messbar.

DER STANDARD: Trotzdem bleibt Qualität eine individuelle Erfahrung.

Carlo Petrini: Klar. Sinnlichkeit ist eine wichtige Komponente unserer Entwicklung, unserer Bildung - aber sie geschieht eben nicht nur außerhalb des Gehirns. Es fängt damit an, ob man überhaupt den Willen aufbringt, die Aromen und Gerüche auch auseinanderzuhalten, die unser Gehirn aufnehmen kann. Will ich das, kann ich zum Kenner werden, will ich das nicht, bleibt mir die Welt, die mich umgibt, verborgen. Die Erfahrung unserer Sinnlichkeit ist Teil unserer persönlichen Kultur, unserer Menschwerdung, und sinnliche Wahrnehmungen sind die Grundlage von Bildung und Wissen.

DER STANDARD: Und "sauber" und "fair", die zwei anderen ethischen Begriffe?

Carlo Petrini: Diese modernisieren das Gute. Es reicht nicht mehr aus, sich auf den Geschmack zu konzentrieren. Die Gastronomie als Lehre vom guten Essen hat sich lange auf Restaurantkritiken und Rezeptsammlungen beschränkt. Da gehört mehr dazu. Gastronomen müssen auch Biologen, Chemiker, Agronomen, Historiker, Anthropologen sein. Diese Idee ist nicht neu, sie stammt vom Erfinder der Gastronomie Brillat-Savarin, der um 1800 lebte. Trotzdem ist sie aktueller denn je.

DER STANDARD: Wieso?

Carlo Petrini: Die Erde ist krank. Jeden Tag verlieren wir an Artenvielfalt. Unser Verhältnis zur Erde ist ebenso wichtig wie das zu den Menschen, die sie bearbeiten. Wir müssen einen Rahmen schaffen, in dem es für junge Leute wieder attraktiv wird, in die Landwirtschaft zu gehen. Sonst wird diese bald ausschließlich industriell arbeiten und sich Sklaven halten. So wie das heute schon geschieht. Der Verlust der Biodiversität, die Situation der Bauern und der dramatische Qualitätsverlust unserer Nahrungsmittel, das sind die Probleme von heute. Respekt vor der Umwelt und soziale Gerechtigkeit sind demnach Grundvoraussetzungen für die Qualität eines Produktes.

DER STANDARD: Es gibt den Vorwurf, dass Slow Food immer mehr zu einer Art Sekte, ja Kirche werde, deren Guru bzw. Papst Carlo Petrini sei. Könnte dieser Eindruck durch das Erscheinen einer "Bibel" wie dieser nicht gestärkt werden?

Carlo Petrini: Ich sagte es schon, und wer Slow Food kennt, weiß das auch: Unsere Convivien machen, was sie wollen. Das ist ein Prinzip unserer Bewegung. Es stimmt, dass wir uns sehr schnell vergrößert haben und weiter wachsen, was ich mir nur durch die Qualität und Universalität unsere Werte erklären kann. Daraus kann man, wer das unbedingt will, eine religiöse Komponente herauslesen.

DER STANDARD: Es heißt, Sie wollen in die Politik gehen.

Carlo Petrini: Wir machen Politik.

DER STANDARD: Ich meine klassische Parteipolitik. Vor wenigen Wochen wurde in Italien eine neue Linkspartei gegründet - die Partito Democratico unter Vorsitz des Römischen Bürgermeisters Walter Veltroni.

Carlo Petrini: Es ist kein Geheimnis, dass ich aus der Linken komme. Ich gebe meine Stimme ab, glaube aber, dass Slow Food weit interessanter und prickelnder ist, als die meisten Parteien - vor allem in Italien.

DER STANDARD: Tradition, Bauern, Erde ... das sind doch Werte, die politisch rechts anzusiedeln sind.

Carlo Petrini: Wir haben keine Angst vor politischen Mäntelchen die man uns umzuhängen versucht. Unsere Werte sind unsere Werte. Punkt. (Georg Desrues/Der Standard/rondo/16/11/2007)